Seit heute streiken mal wieder die Lokführer der GDL. Wer hat Schuld daran? Zuerst natürlich der Vorstand der Deutschen Bahn AG, der keinen Schritt auf die Forderungen der Lokführer und anderer GDL-Mitglieder zugeht und stattdessen das Problem aussitzen will, bis das geplante Tarifeinheitsgesetz der GDL das Streikrecht entzieht und das grundgesetzlich verbriefte Recht auf Koalitionsfreiheit (Art. 9.3 GG) kippt. Somit ist auch der zweite Schuldige ausgemacht. Die Bundesregierung, die nicht nur zu 100 Prozent Anteilseigner der DB AG und anscheinend nicht in der Lage ist, mal Tacheles mit den Bahnoberen zu reden und deren Kaputtsparerei für den geplanten Börsengang zu stoppen. Und die – allen voran die SPD mit Andrea Nahles – mit dem geplanten Gesetz die GDL in die Zwickmühle gebracht hat. Denn die kann nun gar nicht anders. Will sie als Gewerkschaft überleben, muß sie diese Tarifauseinandersetzung gewinnen.
Dabei kippte schon am 23. Juni 2010 das Bundesarbeitsgericht den Grundsatz der Tarifeinheit, den Frau Nahles mit ihrem geplanten Gesetz durch die Hintertür nun wieder einführen will. Damals erinnerte Thomas Kuczynski in der Lunapark21 (Heft 11/2010) daran, daß
die Koalitionsfreiheit kein Errungenschaft der bürgerlichen Gesellschaft ist. Ganz im Gegenteil ist sie ein Recht, das das Proletariat in schweren Kämpfen gegen die herrschenden Koalitionsverbote im 19. Jahrhundert durchgesetzt hat.
Und daß die Tarifverträge berufsgruppenorientierter Gewerkschaften in der Tradition der freien Gewerkschaften in ihrer Aufstiegsphase (bis 1914) in Deutschland stehen:
Damals gab es nur berufsgruppenorientierte Gewerkschaften, die unter dem Dach der Generalkomission der Gewerkschaften Deutschlands eine organisatorische Einheit bildeten. An deren Stelle trat in der Weimarer Republik der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund dessen 52 Einzelgewerkschaften nach wie vor berufsgruppenorientiert arbeiteten. Die heute noch übliche Branchenorientierung hingegen wurde als Organisationsprinzip erstmals in der deutschen Geschichte von den Nazis in Gestalt der Deutschen Arbeitsfront und ihren Untergliederungen eingeführt, um die Einheit der »Betriebsgefolgschaft« zu sichern.
Natürlich muß man die heute im DGB übliche Branchenorientierung mit Hinblick auf ihre zweifelhaften Wurzeln nicht gleich verteufeln, aber sie wurde eingeführt, um die Kampfkraft der Gewerkschaften zu schwächen. Sie hat
mitnichten bewirkt, ihre Arbeit im Interesse der Lohnabhängigen zu effektivieren. Anders als bei den Großfusionen auf der Gegenseite, haben die Zusammenschlüsse die Gewerkschaften in Großtanker verwandelt, deren Mannschaften mehr und mehr dazu dienen, den Besitzstand der »Kapitäne« zu wahren. Mit denen kann der BDA in gewohnter Weise verfahren und ist eben deshalb am Erhalt der »Tarifeinheit« interessiert.
Das sich nun ausgerechnet die SPD unter Federführung von Frau Nahles daran macht, mit dem geplanten Gesetz den Büttel des Kapitals zu spielen und die Interessen der Lohnabhängigen zu verraten, ist ein weiteres, trauriges Kapitel in der an traurigen Kapiteln nicht geraden armen Geschichte der Sozialdemokratie. Schon vor langer Zeit (1978) hatte Ekkes Frank in »Du läßt Dich geh’n« über die SPD gesungen (aus dem Gedächtnis zitiert):
Du warst mal klasse, warst mal groß
Heut bist du harm- und klassenlos
Ich glaub Du merkst nicht mal den Trick
Der großen Monopolitik
Die trimmt Dich weiter auf Profit
Solang Du spurst, nimm sie Dich mit
Doch wenn die Zeiten anders steh’n
Läßt sie Dich geh’n, läßt sie Dich geh’n
Thomas Kuczynski kommt zu dem Schluß:
Die erneute Bildung berufsorientierter Gewerkschaften ist also lediglich der Versuch, zu den Ursprüngen zurückzukehren, um wirkliche Verbesserungen der sozialen Lage abhängig Beschäftigter zu erreichen.
Und das ist natürlich nicht im Sinne des Kapitals und es setzt daher alle seine Vasallen in Bewegung um, angeführt von BLÖD, die GDL und ihren Vorsitzenden zu verteufeln, zum »Bahnsinnigen« zu erklären und die Bevölkerung gegen die streikenden Lokführer aufzuhetzen. Und auch hier spielt die SPD eine unrühmliche Rolle, dieses mal in Gestalt ihres Vorsitzenden Sigmar Gabriel, der bereitwillig den Papagei der Arbeitgeberseite spielt und ihre Parolen nachplappert.
Dabei streikt die GDL für uns alle. Verliert sie ihren Kampf, wird es in Zukunft viel schwieriger sein, die Interessen der Areitnehmer gegenüber den Arbeitgebern mit Hilfe von Gewerkschaften durchzusetzten. Daher verdienen die streikenden Lokführer unsere uneingeschränkte Solidarität. Die Lokführer streiken! Und womit? Mit Recht!
Und allen Streikbrechern sei gesagt: Ihr werdet in der Hölle schmoren.
Den Artikel von Thomas Kuczynski kann man in dem Büchlein Geschichten aus dem Lunapark. Historisch-kritische Betrachtungen zur Ökonomie der Gegenwart (Seite 55-59) nachlesen. Da der Band noch viele weitere, lesenswerte Artikel enthält, empfehle ich den Kauf und das – sozusagen als Caveat – nicht (nur), weil ich mit Thomas befreundet bin. Sondern weil es guttut, auch einmal fundierte Beiträge zu lesen, die nicht einfach ungeprüft die herrschende Meinung nachplappern. Und aus den gleichen Gründen empfehle ich die regelmäßige Lektüre der linken Wirtschaftszeitung Lunapark21. Denn da werdet Ihr nicht dümmer von. (Kommentieren) (#) ()
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