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Die Zerstörung Europas durch die Kolonialisierung Griechenlands

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Bei den Ereignissen der vergangenen Wochen um Griechenland hatte ich ein ständiges Déjà-vu: Vieles erinnerte mich an den Putsch in Chile 1973. Auch hier wurde eine dem Kapital (und den USA) nicht genehme, demokratisch gewählte Regierung gewaltsam aus dem Amt geputscht und etwas anderes ist das, was die EU unter der Führung der Regierung Angela Merkels mit der ebenfalls demokratisch gewählten Regierung unter Führung der SYRIZA anstellt, auch nicht. In Chile folgte darauf eine grausame Militärdiktatur, die erst am 11. März 1990 endete.

Zwar halte ich ehrlich gesagt den BND für zu blöd, um wie die CIA in Chile einen Militärputsch in Griechenland zu organisieren, aber das ist auch heute nicht mehr nötig. Wie Gabriela Berger in dem Beitrag »Zukunftswerkstatt Griechenland« schreibt, sind – nach einem Artikel des Wirtschaftsjournalisten Wolfgang Münchau – »Zahlungssysteme die Atombomben des Finanzkrieges«. Diese

finanzielle »Atombombe« wurde gegen einen Staat gezündet, der politisch und wirtschaftlich voll in Europa integriert ist.

Einen Militärputsch mag ich trotzdem nicht völlig ausschließen – vielleicht nicht so bald, aber nach einer gewissen »Schonfrist«, wenn die Wut über das deutsche Diktat verblaßt ist –, denn schließlich gab es von 1967 bis 1974 schon einmal eine Griechische Militärdiktatur, das »Regime der Obristen«, das von den USA und der NATO unterstützt wurde. Franz Josef Strauß lobte damals die Drachme als »die heute stabilste Währung der Welt« und bescheinigte den Putschisten, Griechenland wieder »Stabilität« verschafft zu haben.

Und so schreibt Gabriela Berger weiter:

Im kritischen Diskurs über autoritäre Regierungen außerhalb der EU gibt es das Schlagwort von der »kontrollierten Demokratie«. Nun schafft die Eurozone ihr eigenes Modell. Die griechische Demokratie wird mehr und mehr durch nicht demokratisch legitimierte Gremien entmachtet, die beim Regierungshandeln das letzte Wort haben. Die Troika ist bereits ein solches Gebilde.
Um den geplanten Treuhandfonds unter europäische Aufsicht zu stellen, soll nun ein zusätzliches Gremium eingerichtet werden. Ein Gremium braucht man vermutlich auch, damit die Troika alle Gesetzesvorhaben im Vorfeld einer Prüfung unterziehen kann. So wird der direkte Zugriff wirtschaftlicher und finanzpolitischer Interessen auf den griechischen Staat organisiert - vollzogen durch smarte Herren mit Aktenköfferchen, die ihre Macht in Gremien ausüben, die von keinem gewählten Parlament eingesetzt worden sind.

Solche nicht demokratisch legitimierte Gremien sind im neoliberalen Europa jedoch kein Sonderfall:

In den Verhandlungen um die transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP und CETA wird genau dasselbe geplant – aber nicht nur für Griechenland, sondern für alle EU-Staaten. Gesetzesentwürfe sollen in der Planungsphase einem Expertengremium vorgelegt werden, bevor sie im Parlament oder in der Öffentlichkeit diskutiert werden können. So ist es im fertig verhandelten Vertragstext von CETA unter dem Stichwort »regulatorische Kooperation« vorgesehen und für TTIP geplant.

Die Entmachtung der griechischen Demokratie ist also ein Modell für Europa: Tomasz Konicz meinte dazu in seinem Beitrag »Willkommen in der Postdemokratie«:

In Krisenzeiten wird auch ersichtlich, wo die Grenzen der Demokratie im Kapitalismus liegen: bei den »Sachzwängen« des Kapitals. Das Kapital und die »freien Märkte« stehen selbst in der gegenwärtigen Systemkrise niemals zur Diskussion oder Disposition, weil sie in der herrschenden Ideologie den Charakter von natürlichen Gesetzmäßigkeiten annehmen, die aus unabänderlichen Wesenseigenschafen des Menschen oder der Natur entspringen.
[…] Der Bürger darf somit darüber abstimmen, wie das fetischisierte Wirtschaftswachstum angekurbelt, wie weitere »Arbeitsplätze« geschaffen werden sollen, aber es ist schlicht unmöglich, im Mainstream über Alternativen jenseits von Markt und Kapital selbst in der gegenwärtigen Systemkrise auch nur zu diskutieren – schon eher wird die ehemals Heilige Kuh der kapitalistisch verstümmelten Pseudodemokratie geopfert, als daß die Herrschaft der »Märkte« auch nur in Zweifel gezogen würde.

In die gleiche Kerbe haut auch Peter Bürger in dem Artikel »Europa und die Spieltheorie«:

Der Neoliberalismus basiert auf keinem rationalen Modell, sondern ist eine Religion. Diese Religion, deren menschenverachtenden und terroristischen Potenzen offen zutage liegen, kommt uns teuer zu stehen.

Wem der Begriff »Kolonie« für den Sturz der Demokratie in Griechenland zu hart ist, dem kommt Karl Schmal im Lower Class Magazin mit einem historischen Vergleich. Es erinnert an die Unterwerfung Ägyptens durch Großbritannien beim Bau des Suezkanals:

Beim Bau des Kanals verschuldete sich Ägypten so stark, daß es trotz Verkaufs seiner Anteile an dem Projekt und der Ausgabe immer neuer Staatsanleihen 1875 vor dem Bankrott stand. Doch die internationalen Geldgeber hatten bereits die Lösung parat. Eine neue Regierung, die den europäischen Gläubigerbanken genehm war, wurde eingesetzt, und diese hatte ein simples Programm: »Sanierung der Staatseinnahmen und Sicherstellung von Verzinsung und Tilgung gegen Herabsetzung des Zinssatzes auf 5 % mit Aufsicht durch eine internationale Schuldenkommission unter gemeinsamem englisch-französischem Vorsitz.« (Zit. nach Wolfgang Reinhard, Kleine Geschichte des Kolonialismus, Stuttgart 1996). Klingt irgendwie vertraut, oder?
[…] Angesichts dieses Souveränitätsverlust konnte Widerstand nicht ausbleiben. Unter dem Offizier Ahmad Urabi Pascha entstand Ende der 1870er Jahre eine Bewegung, die rasch an Einfluß gewann. Urabi gelangte bis an die Spitze des Staates und wurde im Sommer 1882 ägyptischer Premierminister. […] Die Antwort der Gläubigerstaaten auf den militanten Widerstand fiel jedenfalls eindeutig aus. Kurz nach den Ereignissen in Alexandria landeten bereits britische Truppenverbände in Ägypten. Urabi wurde vertrieben, Ägypten besetzt und unter britische Kolonialverwaltung gestellt.

Sein Fazit ist, daß der Begriff »Kolonie« auch ohne Flaggenhissen auf exotischen Stränden angebracht ist:

Vergleicht man die Geschichte der Koloniewerdung Ägyptens mit den aktuellen Entwicklungen in Griechenland, so ist man in Athen derzeit eifrig mit dem Verkauf der Suezkanalaktien angelangt. Die europäischen »Berater« und Beamten packen bereits ihre Koffer mit Reiseziel Athen.

Gegen all diesen Wahnsinn hat Griechenlands Ex-Finanzminister Yanis Varoufakis mit einem kleinen Büchlein angeschrieben, das nun endlich auch in einer deutschen Übersetzung vorliegt: »Time for Change – Wie ich meiner Tochter die Wirtschaft erkläre«, ein 180 Seiten schlanker Grundkurs darüber, wie eng und tendenziell bedrohlich Arbeit, Geld, Politik und Leben ineinander verhakt sind. Ich habe es mir bestellt, werde lesen und berichten.


(Kommentieren)  Die Zerstörung Europas – 20150728 bitte flattrn




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