Gestern vor 25 Jahren, am 20. Dezember 1990 ging die erste Website der Welt am CERN online. Und wie man am Screenshot unten sieht, war das Web von Anfang an von Tim Berners-Lee als Arbeitsumgebung für Autoren, als Hypermedia-Editor und -Browser konzipiert und nicht als eine weitere Abspielplattform der Bewußtseinsindustrie, zu der es heute in großen Teilen verkommen ist.
Die Inspiration für das Web war das 1960 gegründete Hypertext-Projekt Xanadu des amerikanischen Philosophen und Soziologen Ted Nelson, der von einem »magic place of literary memory where nothing is ever forgotten« träumte. In Zeiten, in denen auf Drängen der Medienkonzerne das Depublizieren von Inhalten zur täglichen Praxis gehört und in der interessierte Kreise mithilfe eines abstrakten »Rechts auf Vergessen« Zensur ausüben können, ein schöner aber leider vergänglicher Traum.
Und so fragt auch Dave Winer, welche Fehler wir gemacht haben, »that we have turned that wonderful diversity machine into a monoculture«. Haben wir uns wirklich nur vom Geld kaufen und es an Engagement fehlen lassen? Ich glaube nicht. Spätestens seit Mitte der 1990er Jahre war klar, daß das Web auf ewig in einem Spannungsverhältnis zwischen der Bewußtseinsindustrie, die es zu einem neuen Abspielgerät umfunktionieren will und zwischen denen, die von einem Web des Wissens träumen, gefangen sein wird.
Dieses Spannungsverhältnis läßt sich in einer kapitalistisschen Gesellschaft auch nicht auflösen. Aber wir können und müssen täglich dagegen ankämpfen, wir können und müssen eine Art kulturelle Hegemonie (Gramsci) über das Web zurückerobern. Wie Winer schon im oben zitierten Beitrag schrieb:
If we want the promise that the web gave us a glimpse of, we can have it back. The raw material of the monoculture are you and me. People. We don’t make any money from our use of the web. It can be a tool for more working-together, problem-solving and love-making.
Ich würde es weniger emphatisch formulieren, aber warum nicht? Das freie Web ist nicht verloren, solange es uns gibt. Wir, daß sind Menschen, die nicht sofort die Dollarzeichen als Zeichen der Gier in den Augen haben, wenn sie für das, in das und über das Web schreiben. Wir, die wir uns nicht von der Bewußtseinsindustrie haben manipulieren oder gar kaufen lassen.
Ich jedenfalls träume weiterhin von einem Web des Wissens. Und ich bin davon überzeugt, daß es genügend Mitträumer gibt, um diesen Traum zu realisieren. Denn wie heißt es in einem alten Sponti-Spruch? Wer keinen Mut zum Träumen hat, hat keine Kraft zu kämpfen. Das heißt für mich: Weiter träumen und weiter kämpfen.
Über …
Der Schockwellenreiter ist seit dem 24. April 2000 das Weblog digitale Kritzelheft von Jörg Kantel (Neuköllner, EDV-Leiter, Autor, Netzaktivist und Hundesportler — Reihenfolge rein zufällig). Hier steht, was mir gefällt. Wem es nicht gefällt, der braucht ja nicht mitzulesen. Wer aber mitliest, ist herzlich willkommen und eingeladen, mitzudiskutieren!
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