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Von Sternenkriegern, fehlender Perspektive, der Maker-Bewegung und neoliberalem Irsinn

Die Ruhe vor dem Sturm den Feiertagen (am Institut scheint nur noch eine arg ausgedünnte Teilmenge des Service-Personals anwesend zu sein), hat es mir erlaubt, mich über Mittag mal in ein paar der jüngeren Telepolis-Artikel zu vertiefen. Das ist dabei herausgekommen:

Den Anfang macht Rüdiger Suchsland mit seiner Analyse der Blockbuster-Saga »Star Wars«, in der er Sehnsucht nach einer neuen und abgerundeten Totalität ausmacht. Doch Suchsland nimmt das Genre durchaus ernst und verfällt nicht in den Kulturpessimismus, in den europäische Kritiker in Fällen amerikanischer Kinomythen oft verfallen. Und ich finde es immer wieder erstaunlich, welche Parallelen Kulturwissenschaftler dabei sehen: Vom Parzifal-Mythos über Metropolis und Laurel & Hardy bis hin zu New-Age-Phantasien wird nichts ausgelassen. Man muß Rüdiger Suchsland nicht immer zustimmen, aber in meinen Augen ist er der klügste und vergnüglichste Filmkritiker, den das deutsche Feuilleton derzeit zu bieten hat. Daher: Lesebefehl!

Tomasz Konicz hingegen ist ein Beispiel dafür, wo es hinführt, wenn man zwar analytische Fähigkeiten besitzt, es aber an Standpunkt und Perspektive mangelt. In seinem Beitrag Merkel allein im europäischen Haus analysiert er brilliant die Gründe und Ursachen für das Erstarken des europäischen Nationalismus zum Beispiel in Frankreich, Ungarn oder Polen, verursacht durch das deutsche Hegemonie-Bestreben. Da er sich jedoch ein Europa außerhalb des neoliberalen Kapitalismus nicht vorstellen kann, findet er keinen Ausweg aus der Krise außer einem resignierten »weiter so«:

Da es die Linke nicht vermochte, eine progressive Antwort auf dieses deutsche Dominanzstreben zu finden, droht nun Europa der Rückfall in die finstersten Zeiten des ungehemmten europäischen Nationalismus, der angesichts der vorangeschrittenen Krisendynamik nur in die Barbarei führen kann.

  

Dabei gibt es sehr wohl linke Antworten auf dieses Europa der Großkonzerne, aber diese sprengen das System und das ist für Herrn Konicz offensichtlich undenkbar. Er übersieht, daß es zu der von ihm genüßlich schwarzgemalten Barbarei eine Alternative gibt, die schon Rosa Luxemburg 1916 benannte: Sozialismus oder Barbarei. Trotzdem ist sein Artikel allein wegen der schonungslosen Analyse lesenswert.

Wohin es führt, wenn ein sichtlich überforderter Journalist seinen Interviewpartner nicht ernst nimmt, beweist Hans-Arthur Marsiske in seinem Interview mit Alex Bandar, der in Columbus/Ohio den weltweit größten Makerspace betreibt. Er versucht immer wieder, mit einem ziemlich abgegriffenen Trivial-Marxismus, Fragen zu formulieren, die sein (Vor-) Urteil bestätigen, daß Bandars Makerspace, weil er Gewinne erwirtschaftet, auch nur ein kapitlaistisches Unternehmen sei. So, als hätte er nie von Marx’ Diktum gehört, daß ein Unternehmen im Kapitalismus – bei Strafe seines Untergangs – dazu verurteilt sei, kapitalistisch zu handeln. So bleibt die Frage nach den Spielräumen, die dennoch entstehen und möglich sind, ungestellt. Wären da nicht die manchmal leicht genervten Antworten Bandars, der trotzdem versucht, auf eben diese Spielräume hinzuweisen, könnte man das Interview in die Tonne treten. So bleibt es bei aller Kritik am Interviewer ein lesenswertes Interview.

Nun aber zum Höhepunkt: Wolfgang J. Koschnick schreibt zornig, aber kenntnisreich über das unsägliche Elend der Public-Private Partnerships, in Deutschland meist »Öffentlich-Private Partnerschaften« (ÖPP) genannt. Der Leser erfährt, wie entgegen jedem ökonomischen Sachverstand ÖPP-Projekte durchgeführt und die Kosten nur nach hinten verschoben werden, um dem Mythos der »Schwarzen Null« zu huldigen. Koschnick schreibt, wie dabei der Steuerzahler verarscht, die Parlamente durch Geheimverträge entmachtet (die Parallele zu TTIP ist mehr als offensichtlich) und die Kosten auf die künftigen Generationen abgewälzt werden. Und der Autor hat auch eine Perspektive, die ganz klar Rekommunalisierung und Vergesellschaftung heißt. Doch er weiß, daß es diese nicht umsonst gibt, sondern – wie er am Beispiel der Berliner Wasserwerke zeigt – nur durch den Aufstand der Bevölkerung gegen ihre gewählten Repräsentanten durchgesetzt werden kann. Hier stimmt alles: Analyse, Standpunkt und Perspektive.

War sonst noch was? Ach ja, die Welt (sic!) beschreibt, wie ein Kartell großer US-Firmen sich in den 1920er Jahren zusammentat, um den damals in den USA sehr gut funktionierenden Straßenbahnverkehr zugunsten der Automobilindustrie zu ruinieren (wegen der Wiederauffindbarkeit ausnahmsweise trotz Leistungsschutzrechtprotest verlinkt). Zwar ist der Beitrag vermutlich nur ein schlechtgemachter Versuch, VW wegen des Dieselgates reinzuwaschen, aber trotzdem ein Anlaß, über diese Angelegenheit nachzudenken. Mir stellte sich nach der Lektüre sofort die Frage, wer für den Umbau (West-) Berlins in den 1960er bis 1970er Jahren zur autogerechten Stadt bezahlt hat und verantwortlich war. Hier sind zahlreiche Gemeinsamkeiten mit den damaligen Vorgängen in den USA zu sehen. Denn auf dem Mist der Politik alleine ist dieser städtebauliche Kahlschlag, verbunden mit dem Niedergang des ÖPNV (Stillegung der Straßen- und Boykott der S-Bahn) sicherlich nicht gewachsen.


(Kommentieren)  Telepolis-Rundschau – 20151223 bitte flattrn

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