Das Europäische Hansemuseum scheint eine schlechte Ausstellung konzipiert zu haben. Jedenfalls ist Lina Timm dieser Meinung. Genauer: Sie ist der Meinung, daß die Ausstellung langweilig sei, weil das Museum digital versagt habe. Ich kenne weder das Museum noch die Ausstellung und mußte mir – weil Lina Timm nicht verlinken kann – beides ergooglen. Daher kann und will ich über die Qualität dieser speziellen Ausstellung auch kein Urteil erlauben. Aber ich muß Lina Timm generell widersprechen:
Eine schlechte Ausstellung wird nicht dadurch besser, indem man sie ver-APP-t. Eine App oder auch anderer technischer Schnickschnack machen aus einer schlechten Ausstellung keine gute, sondern nur eine schlechte Ausstellung mit zusätzlichen teuren, technischen aber nutzlosen, Spielereien.
Ein Museum hat nicht die Aufgabe, mit dem neuesten technischen Spielzeug zu protzen. Das ergibt vielfach nicht nur keinen Sinn, sondern ist auch schlecht im Sinne von Nachhaltigkeit und Zukunftssicherheit.
Zum zweiten Punkt möchte ich ein wenig ausholen: Vor vielen Jahren, genauer 1987, gab es im Berliner Kunstgewerbemuseum eine vielbeachtete Ausstellung mit dem Titel »Packeis und Pressglas. Warenästhetik und Kulturreform im deutschen Kaiserreich. Von der Kunstgewerbebewegung zum Deutschen Werkbund«. Trotz des etwas sperrigen Titels war es eine wunderschöne Ausstellung und zum Katalog gab es auch eine CD-ROM (für die jüngeren unter Euch: Eine CD-ROM ist so etwas wie der Vorläufer der DVD) mit vielen zusätzlichen Materialien und den gesamten digitalisierten Exponaten. Eigentlich eine tolle Sache, nur … die CD-ROM war mit der Multimedia-Authoring-Software Director (heute: Adobe Director) erstellt und benötigte einen Player für Windows und MacOS 9 (auf der CD-ROM mitgeliefert). Das war zwar damals schon proprietär, aber state of the art und heute kann kein aktueller Rechner mehr damit etwas anfangen. Vielleicht, wenn man irgendwo ein Windows 95 emulieren kann oder mit Sheepshaver versucht, ein altes MacOS Classic zu emulieren, bekommt man das Teil eventuell noch auf den Schirm.
Und das ist schade, denn die ganze Arbeit, die darin steckt, ist verloren und – schlimmer noch – wenn ich für Digitalisierungsprojekte werbe, bekomme ich, mit Hinweis auf dieses oder ähnliche, vergeigte Projekte, zu hören: Ein Buch hält mindesten 100 Jahre, wie lange hält Dein Digitalisierungsprojekt? Und die Skepsis ist berechtigt: Nicht nur das Kunstgewerbemuseum ist mit Director auf die Schnauze gefallen, auch Marvin Minskis prominentes Buch The Society of Mind (deutscher oder besser lateinisch-griechischer Titel: Mentopolis) war ein weiteres Beispiel für mangelnde Zukunftssicherheit. Denn auch dies kam mit einer CD-ROM mit zusätzlichen Materialien, die in einer Director-App vergraben und heute nicht mehr zugänglich sind. Das sind nur zwei Beispiele aus einer Liste von tausenden. Director war damals so etwas wie ein inoffizieller Quasi-Standard und niemand konnte sich vorstellen, daß es ihn einmal nicht mehr (als Quasi-Standard) geben wird.
Director steht hier nur als ein prominentes Beispiel, auch viele Plattformen für Webanwendungen werden – wenn überhaupt – nur noch künstlich am Leben erhalten, weil es viele Anwendungen gibt, die damit erstellt wurden. Meine persönliche »App-ocalypse« ist hierbei Zope, mit dem viele Anwendungen und Sammlungen (unter anderem das ECHO-Projekt (European Cultural Heritage Online) am Institut laufen. Es wird immer schwerer, solche Projekte am Leben zu erhalten – auch hier ist ein generelles Umdenken und Redesign angesagt.
Lina Timms Beitrag ist übrigens auch ein Beispiel für mangelnde Zukunftssicherheit. Denn wo hat sie ihn veröffentlicht? Auf Medium.com, einer der proprietärsten und am wenigsten zukunftssicheren sozialen Netzwerke überhaupt. Wenn Medium seine Server abschaltet, ist der Aufsatz von Lina Timm für immer vom Netz verschwunden. Und unter meinen betagten MacOS X 10.6.8 mit Chrome läßt sich Medium wegen irgendwelcher Zertifikatsprobleme schon heute nicht mehr aufrufen, nur mit dem Firefox kann ich die Site (noch?) erreichen.
Museen haben sicher die Aufgabe, ihre Objekte digital zugänglich zu machen, aber sie müssen sie zukunftssicher digital zugänglich machen. Und Apps sind keine zukunftssichere Anwendung. Sie sind viel zu sehr von den darunterliegenden Betriebssystemen, den Stores und den verwendeten Programmiersprachen abhängig.
Wenn überhaupt etwas eine Chance für Zukunftssicherheit hat, dann sind das statische Seiten mit HTML5, CSS und JavaScript. Denn das ist ein offizieller Standard, der die Langlebigkeit ins Programm geschrieben hat, und kein proprietärer. Selbst das (eigentlich) offene EPUB-Format halte ich nur für eine Übergangslösung, denn was bietet es (außer DRM), was HTML5 nicht kann?
Mein Plädoyer ist daher: Digitale Sammlungen und Ausstellungsführer nur noch mit dieser Technik zu produzieren. Sicher: Vieles ist da noch Neuland und muß neu gedacht werden, aber eine andere Chance sehe ich nicht.
Larry Seltzer sieht das ähnlich und veröffentlichte auf ars technica dazu den Aufsatz The App-ocalypse: Can Web standards make mobile apps obsolete? in dem er die Entwicklung webbasierter Apps fordert – ohne dabei Rücksicht auf Apple zu nehmen. Sein Fazit:
So maybe what we all need right now is the killer Web app—a demonstration of a website that performs beautifully, even if only on Android. Maybe that would get users’ attention and, maybe then, Apple’s attention. Google is headed in this direction. And for what it’s worth, Microsoft will probably head in this direction eventually with Edge. That leaves Apple as the big question mark. Does it have too much to lose?
War sonst noch was? Ja, das aktuelle (Berliner) Museums Journal (Heft 1/2016) hat passenderweise den Schwerpunkt »Ausstellungen machen« mit theoretischen Beiträgen wie auch Making ofs. Es gibt es leider nur auf totem Holz aber es ist sehr lesenswert. Und dort steht auch – und das ist eine kleine Ehrenrettung für Lina Timm und mein versöhnlicher Ausklang: »Audioguides sind heutzutage Pflicht!«
Über …
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