Um es vorweg zu sagen: Ich halte Jan Böhmermann für einen eitlen und selbstverliebten Fatzke, der für einen Gag seine Großmutter verkaufen würde und weniger für einen Satiriker. Dazu fehlen ihm Standpunkt und Perspektive. Aber meine Kollegin und Freundin Sonja Brentjes hat Recht, wenn sie schreibt (Facebook Link):
Ich unterschreibe, weil es eine Anmaßung von Herrn Erdogan ist, wenn er Menschen, über die er sich ärgert, strafrechtlich verfolgen läßt. Es ist schlimm genug, wenn er das in der Türkei tut, wo er eigentlich für seine Kriegsverbrechen verfolgt werden sollte. Ich halte das Schmähgedicht nicht für große Kunst. Aber das soll es ja auch nicht sein. Übel ist es auch nicht, wenn man weiß, was Herr Erdoğan alles unternimmt, um Gegner egal welcher Couleur mundtot zu machen. Wenn er sich anders benähme, gäbe es auch solche Satire gegen ihn nicht.
Sie hat mit dieser Begründung die Petition Freiheit für Böhmermann unterzeichnet. Ich bin ihr gefolgt – wenn auch mit leichten Bauchschmerzen. Doch es geht hier nicht um Böhmermann, sondern um einen großkotzigen, türkischen Pascha, der sein undemokratisches Medienverständnis auch in Deutschland durchdrücken will. Das zeigt Wirkung, denn die Bundesregierung knickt schon wegen Böhmermann vor Erdoğan ein. Rechtsanwalt und Blogger Udo Vetter schreibt zu Recht, daß es jetzt um Politik, nicht um Paragraphen gehe:
Selbst wenn Merkel, was sie ja schon öffentlich gemacht hat, Böhmermanns Auftritt für eine Grenzverletzung hält, zwingt sie das nicht dazu, die deutsche Justiz zum Turnierplatz für die Ehre eines ausländischen Staatsoberhaupts zu machen. […] Nach meiner Meinung hat Merkel viele gute Gründe, den Fall an dieser Stelle zu beenden. Sie könnte Herrn Erdoğan in aller Freundschaft darauf verweisen, daß er jederzeit vor dem deutschen Zivilgericht klagen kann.
Und er erinnert in einem weiteren Blogbeitrag daran, daß Kunstfreiheit ein Ding ohne Schranken sei. Aber so, wie es derzeit aussieht, hat die Bundesregierung ihre Handlungsfähigkeit, unsere Demokratie und die Grundrechte, die die Bundeskanzlerin eigentlich schützen soll, wegen ihres fragwürdigen Flüchtlingsdeals mit der Türkei für ein Linsengericht verkauft.
Nachdem sich bereits der Springer-Chef Mathias Döpfner (der Axel-Springer-Verlag steht ja bekanntlich für Qualitätsjournalismus und Meinungsfreiheit) mit Böhmermann solidarisiert hatte, macht nun Dieter Hallervorden mit seinem zu den Klängen des Narhalla-Marsches vorgetragenen Liedchen »Erdoğan, zeig mich an« die Angelegenheit vollends zur Posse.
Über …
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