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Die VG Wort, der BGH und die Lobbyschlacht

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Erinnert Ihr Euch noch, was ich letzten Freitag geschrieben hatte?

Der BGH hat entschieden, daß die VG Wort ihre Einnahmen nicht mehr an Verlage ausschütten darf, sondern daß diese komplett den Autoren zustehen. Wie zu erwarten gibt der Börsenverein des Deutschen Buchhandels als Sprachrohr der Verlagsindustrie den Jammerlappen und bereitet eine Lobbyschlacht dagegen vor.

Schneller als selbst ich es erwartet hätte, hat die Lobbyschlacht begonnen und so las ich schon gestern, daß die SPD und die CDU das BGH- und EuGH-Urteil aushebeln wollen. Sie forderten in einem Entschließungspapier, daß in einem geplanten Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2014/26/EU »über die kollektive Wahrnehmung von Urheber- und verwandten Schutzrechten […]« die »Beteiligung von Verlegern an gesetzlichen Vergütungen [zu] erhalten« sei.

Die Verleger, so der Entschließungsantrag, hätten »einen maßgeblichen Anteil an ihrer Schaffung [sic]«, weil sie Autoren »in vielfältiger Weise« unterstützen würden – »von der Vorfinanzierung des Werks über das Lektorat bis hin zur Vermarktung«. Außerdem würden gemeinsame Verwertungsgesellschaften für Autoren und Verleger die Arbeit von Bibliotheken »erleichtern« und eine »besondere soziale und gesellschaftliche Funktion […] ausüben«.

Das deckt sich zwar in keiner Weise mit den Erfahrungen, die ich und meine Kollegen als Autoren mit den Verlagen machten, aber – so stellt Peter Mühlbauer genuß voll fest – dafür ähneln die Formulierungen des Papiers den vorherigen Pressemitteilungen der Verlegerlobby bemerkenswert und er schließt mit den Sätzen:

Nimmt man die Argumentation der Verlage und der Fraktionen der ehemaligen Volksparteien ernst, dann müßte man anerkennen, daß nicht nur die wirtschaftlichen Interessen von Verleger von den Privatkopien (für die Abgaben eingesammelt werden) berührt sind, sondern auch die von Buchhandlungen, der Papierindustrie und dem finnischen Staat, der unter anderem deshalb mit einer Wirtschaftskrise kämpft […]. All diese Akteure dürfen sich jedoch nicht aus dem Topf bedienen, der den Gerichtsentscheidungen nach eigentlich nur für jene Gruppe bestimmt ist, die sich am wenigsten wehren kann: Die Autoren.

In eine ähnliche Kerbe schlägt Stefan Niggemeier, der in seinem Artikel »Schöner Verlegen – mit dem Geld anderer Leute« die schon nur noch hysterisch zu erklärende Lobbyarbeit der Verlagsindustrie kommentiert:

Im allgemeinen Jammern und Wehklagen wird jetzt auch so getan, als sei das Urteil ein Ausdruck der Geringschätzung der Verlagsarbeit, des Lektorierens und der Autorenpflege sowie der Vermarktung von Büchern. Frei von jeder juristischen Argumentation erklärt die Autorin Wiebke Porombka bei »Zeit Online« (wegen Leistungsschutzrechtprotest nicht verlinkt -ka-), wer in diesem Fall alles »irren tut« (sic!). Sie hyperventiliert, die Entscheidung sei »erschreckend und kaum nachvollziehbar«, »kurzsichtig und »schlimm«. Sie verklärt die Verlagsarbeit zu einem edlen, quasi selbstlosen Prozess und macht Schriftsteller, die ohne Verlag publizieren, als »selbsterklärte Autoren« verächtlich – ganz so, als würde man erst dann zum richtigen Urheber, wenn man von einem Verlag dazu erklärt wurde.

Martin Niggemeiers Fazit:

Wenn jetzt wirklich das große Verlagssterben einsetzte, wäre das eine bemerkenswerte Ironie: Es würde bedeuten, daß das ganze schöne Geschäft über viele Jahre nur funktionierte, weil Verlage rechtswidrig Geld kassierten, das eigentlich den Urhebern zugestanden hätte.

Dabei sind Verlage heute eigentlich überflüssig. Sie funktionieren nur noch aus Gewohnheit als Gelddruckmaschinen. Nehmen wir das Beispiel der Wissenschaftsverlage: Sie verlangen vom Wissenschaftler eine Copy Ready Vorlage (das heißt weder Korrektur noch Lektorat finden statt), lassen das Ganze durch einen oft fragwürdigen Peer Review Prozeß gehen, der von anderen Wissenschaftlern ehrenamtlich durchgeführt wird (das heißt, daß auch die Qualitätssicherung außerhalb der Verlage stattfindet) und letztendlich werden die Bücher ohne je beworben zu sein quasi automatisch von den Universitätsbibliotheken zu oft wahnsinnig überteuerten Preisen eingekauft, weil dies die Aufgabe einer Universitätsbibliothek ist (das heißt, Werbung und Vermarktung von Seiten der Verlage findet auch nicht mehr statt).

Das ist einer der Gründe, warum unter anderem zum Beispiel mehrere Max-Planck-Institute schon vor Jahren die Edition Open Access ins Leben gerufen haben, in der wissenschaftliche Publikationen kostenlos zum Download, aber auch zum Selbstkostenpreis als Print on Demand angeboten werden. Das ist eine Strategie, die ganz ohne Verlage auskommt und sich bewährt hat. So gesehen haben die Verlage gar kein Recht, einen Anteil an den Autorenhonoraren zu verlangen – sie tun ja schließlich nichts. Über die Motivation, die hinter der Open-Access-Strategie steht, hatte ich schon 2011 in einem Beitrag für das Deutschlandradio Kultur geschrieben.

Und daß auch Sachbuch- oder Belletritik-Autoren ohne Verlag meist besser bedient sind, darüber gibt es auch einen Beitrag von mir im Politischen Feuilleton des Deutschlandradios: Publizier Dein Buch selbst.

War sonst noch was? Ach ja, in den USA haben Online-Ausgaben von Zeitungen begonnen, Geld für das Kommentieren von Artikeln zu verlangen. Vorgeblich haben sie Angst vor Trollen und »Hasskommentaren«, aber eigentlich suchen sie nur nach einer weiteren Einnahmequelle.


(Kommentieren)  Die VG Wort, der BGH und die Lobbyschlacht – 20160428 bitte flattrn

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