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Geschichten für Spiele erzählen

Mata Haggis (-Burridge) ist Professor für Creative and Entertainment Games an der University of Applied Science in Breda (NL) und Gründer der Agentur Copper Stone Sea. Daneben ist er ein preisgekrönter Spieleentwickler, -Designer und -Autor und offensichtlich sehr schnell sprechender Engländer mit einem breiten, britischen Akzent. Sein Thema (und Forschungsschwerpunkt) ist die Frage, wie man bessere Geschichten für Spiele erzählen kann. Und er kann wunderbar über dieses Thema reden, was er in obigem Video »Storytelling Tools to Boost Your Indie Game’s Narrative and Gameplay« von 2017 unter Beweis stellt.

Schon ein Jahr vorher (2016) hatt er mit einem Video zu »Writing ‘Nothing’: Storytelling with Unsaid Words and Unreliable Narrators« brilliert, das ebenfalls nicht nur Spaß bringt, sondern auch sehr lehrreich ist.

Mata Haggis spricht wirklich sehr schnell. Ein in normaler Geschwindigkeit sprechender Mensch häzte für die je 30 minütigen Videos sicher je eine Stunde benötigt. Damit der Zuschauer mitkommt, gibt es am Ende jeden Videos eine zusammenfassende Tabelle, mit den wichtigsten Erkenntnissen, der Mr. Haggis uns vermitteln will.

Wie ich zu diesen Videos gekommen bin? Ich hatte in den letzten Tagen die Lektüre des Buches »Game Development with Ren’Py: Introduction to Visual Novel Games Using Ren’Py, TyranoBuilder, and Twine« des finnischen Autors Robert Ciesla abgeschlossen. Neben der Implementierung einer haarsträubenden Agentenstory in Ren’Py, dem proprietären TyranoBuilder und Twine und einer guten Einführung in diese drei Werkzeugen, ist das Buch aber auch eine Geschichte der Text- und Abenteuer- (Computer-) Spiele von Eliza über Colossal Cave Adventure zu King’s Quest und Zork.

Dabei fiel mir auf, wie viel wir seit Hypercards Tagen, als wir alle lustvoll mit Hypertext und Hypermedia experimentierten, verloren haben. Das Internet, das als neues Hypermedia-Experimentierfeld gestartet war, ist fast vollständig zum Abspielkanal der Bewußtseinsindustrie und zur Datenkrake für die großen Konzerne verkommen. Und für diese gilt: Keine Experimente.

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Screenshot aus Wonderland (1990)

So habe ich Lust auf eigene (Hypermedia-) Experimente bekommen: Endlich mal wieder eine Seite basteln, die lustvoll und sinnlos (oder doch mit Sinn?) Popup-Fenster öffnet (und die dann eben keine Werbung enthalten, siehe Screenshot oben). Aber für diese Experimente brauche ich und brauchen wir eben auch Geschichten. Wir müssen uns das »Geschichten erzählen« wieder aneignen, das zum Storytelling der Werbefuzzis verkommen ist. Und genau über dieses »Geschichten erzählen« kann Mata Haggis charmant plaudern.

Das heißt aber nicht, daß man nicht auch von der (Bewußtseins-) Industrie lernen kann: Jamie Antonisse arbeitet bei Disney und erzählt in seinem 2014er-Vortrag »Building a Paper Prototype For Your Narrative Design«.

Mein derzeit bevorzugtes Werkzeug für solche Hypertext-/Hypermedia-Experimente ist ob seiner Einfachheit Twine. Von der Mächtigen Kokosnuß, den Entwicklern des Spiels 57° North gibt es eine kurze Einführung in dieses Tool.

In 2020 werden (in den USA) Werke, die 1924 publiziert worden sind, gemeinfrei. Darunter sind Autoren wie Agathe Christie, Hermann Melville und H. G. Wells, Künstler wie Wassily Kandinsky oder Edward Hooper und Komponisten wie George Gershwin und Irving Berlin. Aus diesem Anlaß hat Randy Lubin den Wettbewerb »Gaming Like It’s 1924« ins Leben gerufen, zu dem analoge und digitale Spiele, die von diesen Künstlern inspiriert sind oder auf deren Werke verwenden, eingereicht werden können. Bei digitalen Spielen werden nur die berücksichtigt, die im Browser laufen und als Werkzeug dafür wird Twine empfohlen. Das ist doch auch noch einmal eine Anregung, mit Twine zu experimentieren.

Eine weitere Anregung, wie man digitale, nichtlineare Geschichten erzählt, kommt von Artur Ganszyniec. In seinen Aufsätzen »Emotional Context In Decision Design« und »On the Uncharted Waters of Procedural Narratives« erzählt er, welche Design-Entscheidungen die Wanderlust Travel Stories beeinflußt haben.

Und von Sarah Laskow gibt es eine ausführliche Analyse der »Choose Your Own Adventure«-Bücher, dem (Kinderbuch-) Genre, das heute nahezu als einziges noch interaktive, nichtlineare Geschichten erzählt.

War sonst noch was? Ach ja, Randell Trulson erzählt, was ihn bis heute an den alten Adventure Games fasziniert, David D’Angelo warum man geheime Pfade in Spiele einbauen sollte und Youenne Thirion reüssiert über das lange Abenteuer der Entwicklung seines (ihres?) ersten Computerspiels. Und last but not least gibt es schon seit März 2019 das Buch »Make Your Own Twine Games! von Anna Anthropy, das ich bisher noch nicht kannte und das mir erst bei der Recherche zu diesem Beitrag unterkam. Aus all dem kann ich (kann man/frau) für die eigenen Experimente lernen.


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