Mit dem Beginn meiner Pensionierung habe ich das Flanieren als neues Hobby für mich entdeckt. Ich gehe dabei in der Regel so vor, daß ich mit dem Sheltie zum Bahnhof Neukölln laufe. Dort trinke ich erst einen Kaffee und nehme danach die erste Bahn, die kommt. Im Zug entscheide ich, wo ich aus- oder umsteige. Am Startbahnhof schaue ich dann auf die Karte, welche Bahnhöfe ich zu Fuß erreichen kann. Einen davon suche ich aus (wenn mehrere vorhanden sind) und laufe einfach mit dem Hund los. Der Sheltie gibt das Tempo vor, daher gehen wir langsam. Das ist auch gut so, denn nur wer langsam geht, sieht mehr.
Bisher hatte ich die bei diesen Spaziergängen entstandenen (Handy-) Photos einfach ins Gesichtsbuch hochgeladen. Dem Wunsch eines ehemaligen, geschätzten Arbeitskollegen folgend, versuche ich nun Blogposts daraus zu gestalten. Ich fange an mit einem Spaziergang von 31. Januar dieses Jahres, der die Fellkugel und mich durch Grunewald (den Ortsteil, nicht den Forst) führte.
Wir starteten am S-Bahnhof Halensee, der sich von seiner Stillegung nach dem S-Bahnsteig 1980 immer noch nicht richtig erholt zu haben scheint. Er ist wechselweise Dauerbaustelle oder wirkt wie ein Provisorium.
Noch auf Halenseer Gebiet, am Kurfürstendamm, Ecke Bornimer Straße stach uns dieses reichverzierte Gründerzeithaus ins Auge.
Direkt dahinter, am Rathenauplatz beginnt Grunewald. Auf der Mittelinsel des Platzes, in Front eines postmodernen Geschäftshauses steht die Skulptur »2 Beton Cadillacs in Form der nackten Maja«, die der Künstler Wolf Vostell 1987 zur 750-Jahr-Feier Berlins geschaffen hatte. Damals gab es in der Autostadt Westberlin reichlich Bürgerproteste dagegen, heute hat man sich mit den Blech-in-Beton-Klötzen arrangiert.
Geht man vom Rathenauplatz weiter die Hubertusalle herunter, erreicht man den Bismarckplatz. Hier sticht einem als erstes dieser Kiosk im Landhausstil ins Auge, der zum Zeitpunkt meines Besuches allerdings geschlossen war. Dabei war es Freitag mittag und das läßt nichts Gutes erahnen.
Die erste Adresse am Bismarckplatz ist das Umweltbundesamt. Im Vorhof steht diese Brunnenskulptur. Auf dem im Boden eingelassenen Schild gibt es aber keinen Hinweis auf den Schöpfer dieses Werkes, sondern nur den lapidaren Vermerk, daß das Wasser aus diesem Brunnen – wenn es denn mal sprudelt – »kein Trinkwasser« sei.
Jetzt aber: Kein Bismarckplatz ohne seinen Bismarck, ob in Stein gehauen oder in Bronze gegossen. In Berlin nur echt mit Hund.
Um die Ecke des Bismarckplatzes, in der Bismarckallee, trifft man auf ein rotes Pferd, das noch freie Zimmer hat. Gegenüber liegt die Botschaft von Laos, eine der vielen Botschaften, die sich hier im teuersten Ortsteil des alten Westens angesiedelt hat.
Kurz vor der Bismarckbrücke, direkt am Herthasee, findet der Spaziergänger den Komplex des St. Michaels Heims, das im Sommer wegen seines Biergartens am See gerne aufgesucht wird.
Die Bismarckbrücke selber wird von vier monumentalen, barbusigen Sphinxen bewacht. Die Gestaltung der 1891 erbauten Brücke hatte der Bildhauer Max Klein übernommen.
Die Brücke trennt den Herthasee vom Hubertussee. Diese beiden Seen sind, wie der Koenigssee und der Dianesee, keine natürlichen Seen, sondern wurden künstlich aus Moorgebieten 1889 zur Trockenlegung beim Bau der Villenkolonie Grunewald ausgehoben.
Hinter der Bismarckbrücke bogen wir in die Delbrückstraße ab und erreichten die Koenigsallee. An der Ecke steht die monumentale Villa Walther, die die Botschaft der Republik Kosovo beherbergt. Das Botschaftsgebäude ist ein Bau- und der umgebende 1912 entstandene, kleine Park ein Gartendenkmal.
Dort trennt auch die Koenigsalleebrücke den Herthasee vom Koenigssee. Die Namen Koenigsallee und Koenigssee entstanden ausnahmsweise mal nicht dem preußisch-monarchischen Jubel, sondern verdanken ihren Namen seit 1895 dem Bankier Felix Koenigs, einem der Gründer und Finanziers der Villenkolonie Grunewald.
Wir wendeten uns wieder Richtung Süden und erreichten den Hasensprung, ein Pfad und eine kleine Brücke, die den Koenigssee vom Dianesee trennt.
Hinter dem Hasensprung führt die Winkler Straße auf den Karmielplatz. Hier führte unser Weg zuerst zum Mahnmal Gleise 17, das an die mehr als 50.000 Juden Berlins, die zwischen Oktober 1941 und Februar 1945 vorwiegend vom Güterbahnhof Grunewald aus durch den nationalsozialistischen Staat in seine Vernichtungslager deportiert und ermordet wurden, gedenken soll.
Gegenüber dem Bahnhof Grunewald gibt es eine Gaststätte, die in den 1970er Jahren das Stammlokal meines Lateinlehrers war. Ich glaube, sie hieß schon damals Floh.
Wir stärkten uns allerdings nicht dort, sondern in einer kleinen Pizzeria am Bahnhof, die vor der Tür nicht nur diesen furchteinflößenden Pizzabecker, sondern auch zwei kleine Stehtische hatte.
Das war’s. Der Bahnhof Grunewald war unser Zielbahnhof und von hier aus ließen wir uns von der S-Bahn zurück nach Neukölln kutschieren. [Alle Photos (cc): Jörg Kantel]
Über …
Der Schockwellenreiter ist seit dem 24. April 2000 das Weblog digitale Kritzelheft von Jörg Kantel (Neuköllner, EDV-Leiter Rentner, Autor, Netzaktivist und Hundesportler — Reihenfolge rein zufällig). Hier steht, was mir gefällt. Wem es nicht gefällt, der braucht ja nicht mitzulesen. Wer aber mitliest, ist herzlich willkommen und eingeladen, mitzudiskutieren!
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