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»Call Me Ishmael«: »Moby Dick« als Hypertext

Ich hatte schon lange nichts mehr zu Twine, dem Werkzeug, um (nicht nur) interaktive Geschichten zu erzählen. Doch dann spülte mir mein Feedreader heute »An End of Tarred Twine, a Monstrous Moby-Dick Hypertext« in die Timeline und ich wußte, daß ich Euch das nicht vorenthalten kann. Mark Sample unterrichtet Digital Studies, hatte aber letztes Semester ein Sabbatical und in dieser Zeit einige kreative Projekte veröffentlicht, die er nun Stück bei Stück in seinem Blog vorstellen will.

Den Anfang macht das oben erwähnte »An End of Tarred Twine«, eine monströse Hypertext-Version von Hermann Mellvilles berühmten Seeroman »Moby Dick«. Diese Hypertext-Version umfaßt

  • 250.051 Wörter,
  • 2.463 (Twine-) Passagen (oder Knoten) und
  • 6.476 (zufällig generierte) Links zwischen den einzelnen Passagen, das sind im Schnitt 2,63 Links je Passage.

Das alles ist zu umfangreich, um es in Twine alleine zu erstellen. Mark Sample benutzte einen freien (BSD-Lizenz), innofiziellen (Kommandozeilen) Twee-Compiler namens Tweego, der es erlaubt, die einzelnen Twine-Passagen in einem Texteditor statt in Twine zu erstellen. Dafür schrieb er ein Python-Programm, das zum einen nahezu jeden Absatz von Melvilles Meisterwerk in 2.463 Abschnitte zerlegte, um dann mithilfe von SpaCy, einem Python Modul für Natural Language Processing, relevante Substantive und Verben herauszufiltern und diese dann mit anderen Passagen zu verlinken.

Um Endlosschleifen auszuschließen, wurde auf den berühmte Startabsatz »Call me Ishmael« (»Nennt mich Ishmael«) nicht wieder zurückverlinkt, mit Ihr beginnt jede Moby-Dick-Hypertext-Fassung. Jawohl, jede! Denn Mark Sample hat sowohl den Quellcode wie auch seine Moby-Dick-Textfassung auf GitHub veröffentlicht, so daß jeder von Euch sich seine eigene, monströse Hypertext-Version von Moby Dick erstellen kann.

Für ganz mutige und/oder kreative unter Euch: SpaCy unterstützt neben Englisch auch viele andere Sprachen, unter anderem auch Deutsch. Es sind also mit Mark Samples Methode noch viele andere, zufällig generierte Hypertext-Versionen klassischer und nichtklassischer Texte (sie sollten aber frei von Urheberechten sein – es sei denn, Ihr seid der Urheber) möglich. Wie wäre es zum Beispiel mit dem abenteuerlichen Simplicissimus von Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen. Der vollständige Text ist in zahlreichen Online-Quellen verfügbar und auf einem Rutsch ist die barocke Schwarte heute sowieso nicht mehr lesbar (zumindest in der Originalfassung, laut dem »Literarischen Quartett« vom Frühling dieses Jahres soll die neue Bearbeitung von Reinhard Kaiser (erschienen im Eichborn-Verlag) den Schelmenroman dem modernen Leser wieder zugänglich gemacht haben).1

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Mark Samples Artikel hat mich inspiriert und motiviert. Daher werde ich mich jetzt hinsetzen und mich in Melissa Fords »Writing Interactive Fiction with Twine« vertiefen. Denn ich habe mit Twine auch noch einiges vor.

  1. Ich wollte das überprüfen und mir diese Fassung zu meinem Geburtstag im Mai spendieren, aber leider ist/war sie nach der Ausstrahlung des »Literarischen Quartetts« beim Verlag vergriffen. 


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Über …

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