Eigentlich wäre ich ja jetzt mit meinem kleinen Spitz beim Agility-Training auf »unserem« Hundeplatz, doch wieder einmal hat die Berliner S-Bahn einen Strich durch meine Rechnung gemacht. Denn durch eine völlig unverständlich harte Haltung der Deutschen Bahn (Nullrunde im Tarifkonflikt, kein Pandemieausgleich) wurden die in der GDL vertretenen Lokführer (auch die der Berliner S-Bahn) zum Streik gezwungen. In der Urabstimmung votierten 95 Prozent der Mitglieder für einen Streik. Und diese Mitglieder verdienen unsere Solidarität.
Denn – wie Winfried Wolf bemerkte – entgegen »den Aussagen der DB-AG-Chefs Richard Lutz, Martin Seiler und Ronald Pofalla fordert die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) exakt das, was im Frühjahr 2021 im Verdi-Tarifvertrag im Öffentlichen Dienst beschlossen wurde. Und das ist gerade mal Lohnausgleich und eine gewisse Anerkennung für das Den-Kopf-Hinhalten in der Pandemie (600 Euro Sondervergütung). Es ist allerdings rund doppelt so viel wie das, was der Bahnkonzern und die Gewerkschaft EVG im Herbst 2020 abgeschlossen haben – was auf einen deutlichen Reallohnabbau hinausläuft.«
Natürlich ist das Geschrei groß und auch die ARD weint Krokodilstränen: »Unverständnis und Kritik an der GDL«. Immerhin läßt sie den GDL-Vorsitzenden (Claus Weselsky) im Interview zu Wort kommen, der betont, daß es nie »einen guten Zeitpunkt für Streiks« gäbe. Etwas objektiver berichtet der RBB, allerdings unter einer stark reißerischen Überschrift: Geld, Macht, Rivalitäten: Was hinter dem Bahn-Konflikt mit der GDL steckt. Man merkt, gerade in den Zeiten in denen Rot-Grün eine Zerschlagung der kaputtgesparten Berliner S-Bahn forciert (sie wollen die durch den Teufel »Privatisierung« kaputtgesparte Berliner S-Bahn durch den Beelzebub »Privatisierung« wieder austreiben, ein von vorneherein zum Scheitern verurteiltes Unterfangen), daß den Herrschenden eine starke Gewerkschaft (GDL) dabei im Wege steht und sie lieber auf eine angepaßte und systemtreue EVG setzen. In diesem Streik geht es daher nicht nur um die Vergütung der Mitarbeiter, sondern generall auch um die Zukunft der Bahn.
Nur wenige Medien unterstützen den Streik. So einmal der oben schon erwähnte Winfried Wolf, der unter dem Titel »Tricksen, täuschen, Taschen füllen« den Bundesvorsitzenden der GDL, Claus Weselsky ausführlich zu Wort kommen läßt, und dann Rainer Balcerowiak, der in der von mir in der letzten Zeit oft (und zu Recht) geschmähten Telepolis den Streik als ermutigendes Signal sieht.
Natürlich bin ich traurig, daß wegen Nichterreichbarkeit des Hundeplatzes unser Training heute und morgen ausfällt. Aber zu schmähen ist dafür die Deutsche Bahn und die deutsche Politik, die durch ihre unnachgiebige Haltung diesen Streik notwendig gemacht haben und nicht die GDL und ihre Mitglieder.
Wie schon beim letzten Bahnstreik unterstütze ich die streikenden Gewerkschafter mit der »Ballade vom Streikbrecher Casey Jones« (Casey Jones the Union Scab):
1.
Die Arbeiter der Eisenbahn, die streikten um mehr Zaster.
Doch Casey Jones der Maschinist hielt Streik glatt für ein Laster.
Die Maschine, die war löchrig und der Kessel nur ein Pott.
Und Kolben und Ventile waren nur noch Schrott.
Doch Casey Jones ließ die Kiste rollen.
Casey Jones fuhr täglich Doppelschicht.
Casey Jones bekam ‘nen Holzbrettorden.
Nur streiken … streiken … streiken tat er einfach nicht.
2.
Die Kumpels sagten zu Casey: »Warum hilfts Du nicht beim Streik?«
Doch Casey sprach: »Laßt mich allein!« Zum Streik war er zu feig.
Und Caseys alte Kiste, die sprang aus der Spur.
In den Fluten eines Baches endete die Tour.
Casey Jones tauchte in die Wellen.
Casey Jones starb an seinem Wahn.
Casey Jones wurde so ein Engel
Und fuhr hinauf zum Himmel mit der Eisenbahn.
3.
Im Himmel angekommen, kam er ans Perlentor.
Dort stellt er sich dem Petrus als Streikbrecher vor.
»Ja du kommst gerade richtig, es gibt Arbeit überall,
Denn die Himmels-Cherubine streiken schon wieder einmal.«
Casey Jones blies ein Halleluja.
Casey Jones blieb bei seinem Wahn.
Casey Jones brach den Streik der Engel.
So wie auf Erden auch den Streik der Eisenbahn.
4.
Die Engel kamen zusammen und sagten: »Das ist nicht fair.
Wenn wir den Kerl so machen lassen, streikt bald niemand mehr.«
Und die IG Engel faßte den Entschluß,
Daß der Streikbrecher Casey in die Hölle muß.
Casey Jones fuhr hinab zur Hölle.
Casey Jones, schuld dran ist dein Wahn.
Casey Jones schippt jetzt Pech und Schwefel.
So geht es allen Streikbrechern nicht nur bei der Eisenbahn.
Originaltext und Musik: Joe Hill (1911) nach einem amerikanischen Folksong, deutsche Übersetzung von mir.
Über …
Der Schockwellenreiter ist seit dem 24. April 2000 das Weblog digitale Kritzelheft von Jörg Kantel (Neuköllner, EDV-Leiter Rentner, Autor, Netzaktivist und Hundesportler — Reihenfolge rein zufällig). Hier steht, was mir gefällt. Wem es nicht gefällt, der braucht ja nicht mitzulesen. Wer aber mitliest, ist herzlich willkommen und eingeladen, mitzudiskutieren!
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