Wer unsere beliebte flickr-Serie Wohnsitz Neukölln kennt (und wer kennt sie nicht?) oder einmal flickr nach dem Stichwort Neuköllner Müllbeseitigung durchsucht hat, der findet über 1.500 von uns aufgenommene Photos mit den Wohlstandsabfällen, die so täglich die Straßen unseres Bezirks zieren. Wie das Facetten Magazin Neukölln jetzt unter dem Titel »Weg von der Wegwerfgesellschaft« berichtet, kamen zwei Neuköllnerinnen auf die Idee, zu einer Möbeltauschbörse auf dem Freundschaftsplatz einzuladen. Anders als im vergangenen Jahr konnten diesmal nicht nur alte Möbelstücke verschenkt oder weggeworfen werden, sondern auch Kleidung und Spielzeug. Alles, was nicht verschenkt oder vertauscht wurde, sammelte am Ende des Tages die Berliner Stadtreinigung (BSR) mit einem großen Sperrmüllfahrzeug sowie einem Wagen für Elektroschrott ein.
Doch gerade im Elektroschrott liegt ein großes Potential, wie das Magazin Make in dem Artikel »8 Types of Trash Every Maker Should Be Stoked to Score« nachwies. Ich bin nicht gerade selber ein Bastler – an Lötkolben verbrenne ich mich nur –, aber was für Schrittmotoren, Sensoren, Linsen und sonstiges brauchbares Zeug man aus alten Computern, Fernsehern, Fernsteuerungen, Faxgeräten, ja selbst Bobby-Cars, Reifen und Kleidung herausholen und was man damit anstellen kann, hat mich überzeugt. Vielleicht sollte man nicht nur Reparatur-Cafés, sondern auch Bastler-Werkstätten einrichten, die den Schrott von der Straße sammeln und wiederverwerten. Denn nur die wenigsten Ehen dürften es aushalten, wenn der Partner den Müll zur Wiederverwertung im Wohnzimmer sammelt.
Ich kann dem Müll auf Neuköllner Straßen ja irgendwie etwas Romantisches und auch Aufmüpfiges abgewinnen, aber irgendwo gibt es auch für mich Grenzen: Diese formschöne Kloschüssel in der Bürgerstraße zum Beispiel hatte ich das erste Mal am 2. Juni dieses Jahres photographiert (da stand sie auch schon einige Tage dumm rum), das letzte Mal am 2. September (und bis heute steht beziehungsweise liegt sie da immer noch). Das heißt, seit über einem Vierteljahr ziert sie die Gegend. Die BSR will nicht zuständig sein, sie muß erste beauftragt werden (auch eine Folge des neoliberalen Prvatisierungswahns). Da frage ich mich doch, was die Operettenpolizisten vom Ordnungsamt eigentlich den ganzen Tag machen? Spazierenfahren? Oder alten Omas im Park wegen ihrer unangeleinten Dackel einen Strafzettel verpassen? Und auch den müllbeladenen Anhänger, der ein paar Meter weiter seit Monaten unbewegt herumsteht, den ignorieren sie geflissentlich. Mittlerweile ist nicht mehr auszumachen, womit der Hänger ursprünglich beladen war, so sehr ächzt er unter der Last der dort illegal abgeladenen und stinkenden Müllmasse. Beinahe täglich sehe ich Polizei und Ordnungsamt auf ihrem Weg zum Fleischerei-Imbiß am Britzer Damm/Ecke Bürgerstraße daran vorbeifahren, aber einen Blick darauf werfen, lohnt wohl nicht. Das stinkende Zeug könnte unseren Beamten ja den Appetit auf Currywurst und Buletten verderben. Daher lieber Augen zu und durch! [Alle Photos (cc): Jörg Kantel]
1 (Email-) Kommentar
Ich muss da leider ein wenig aus eigener Erfahrung berichten.
Wäre es leichter bei einem Wohnungswechsel, ob nun gewollt oder ein muss, Möbel die nicht mehr gebraucht werden zu “entsorgen” dann wären sicherlich ein paar Müllberge weniger auf den Straßen.
Der Transport von A nach B, das eventuelle Anpassen an die neuen Räume oder auch nur die beschränke Möglichkeit des ab- und aufbauens der Möbel machen es leider “einfacher” Neues zu kaufen, die sogar geliefert und aufgebaut werden. Ohne Stress und in weniger Zeit. Zusätzlich Urlaub für den Umzug bekommt man von dem Arbeitgeber auch nicht so einfach.
Extra sich um die Entsorgung zu kümmern; das kostet. Leider.
Mehr Qualität bei den Möbel würde auch sehr viel helfen. Dann überlegt man sich genau was entsorgt werden soll oder nicht. Und die guten Stücke überleben einen Umzug.
Bei diesen Punkten ist es leider “verständlich” das manche Mitbürger die Lösung auf der Straße suchen und auch finden.
– Johannes K. (Kommentieren) (#)
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