Facebook zensiert nicht nur Nackheit, sondern auch im Interesse der türkischen Regierung. Der Referent für Gewerkschaftsfragen bei der Rosa Luxemburg Stiftung, Florian Wilde hat immer wieder Sperrmeldungen über seinen Facebook-Account erhalten. Die Gründe sind beliebig. Allerdings ist auffällig, daß die Anträge von der türkischen Justiz kommen und die von ihr inkriminierten Texte und Bilder in Deutschland nicht strafrechtlich relevant sind.
So kassierte Wilde eine siebentägige Sperre bei Facebook, weil er Photos aus einer Dokumentation über eine türkeikritische Demonstration in Hamburg gepostet hat. Dabei habe er nach vorherigen Sperren schon darauf geachtet, daß Symbole der kurdischen Arbeiterpartei PKK oder Forderungen nach der Freilassung von deren Vorsitzenden Öcalan nicht unter dem geposteten Material waren. Das waren schließlich die Gründe für die vorigen Sperren.
Diese freiwillige Kooperation von Facebooks Zensurabteilung macht auch deutlich, wie disziplinierend sie wirken und welche Schere im Kopf sie bei den Betroffenen auslösen. Um so fragwürdiger erscheint es mir, daß Felix Schwenzel immer noch für Facebooks Instant Articles wirbt. Denn Facebooks Zensurpraxis ist ein Angriff auf das freie und offene Web.
Dazu paßt, daß die Cumhuriyet-Journalisten Ceyda Karan und Hikmet Çetinkaya von einem Gericht in Istanbul zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt wurden. Sie hatten in einer Kolumne das Cover des Satiremagazins Charlie Hebdo mit einem Bild des weinenden (!) Propheten Mohammed nach dem islamistischen Anschlag auf die Redaktion von Charlie Hebdo abgebildet. Ich bin gespannt, ob dieses Bild von Facebook ebenfalls zensiert werden wird.
In einem hat Felix Schwenzel aber Recht: Wir müssen Webseiten anbieten, die dem Prinzip Mobile First entsprechen und die gerade auch auf mobilen Geräten schnell laden und leicht zu lesen sind. Aber das müssen nicht die Instant Articles von Facebook sein, solche Seiten können wir mit relativ geringem Aufwand auch selber erstellen. Statische Seiten ohne großen Ballast sind da sicher ein Anfang. Aber ich gebe gerne zu, daß auch hier im Blog Kritzelheft noch einiges verbesserungsfähig ist. Still digging!
Gestern berichtete ich über die Lobbyschlacht, die die Verbände der Verlagsindustrie angesichts des BGH-Urteils zur Ausschüttungspraxis der VG Wort angezettelt haben, ums sich ja weiter ungerechtfertigt und ohne Gegenleistung an den Urheberrechtsabgaben – die nur den Autoren selber zustehen – bereichern zu können. Ebenfalls gestern gab es auf iRights.info einen Überblick darüber, was die Fraktionen im Bundestag zur geplanten Reform des Urhebervertragsrechts sagen. Dies ist ein weiterer Schauplatz der Lobbyarbeit der Bewußtseinsindustrie, die wir im Auge behalten sollten.
Und Albatros stellt nach meinem gestrigen Beitrag die Frage »Mit Open Access gegen die VG-Wort-Verlags-Ausschüttung? Dort wird resümiert:
Der Anteil, den die Verlage an meinen Veröffentlichungen hatten, war genau null. Insoweit decken sich mein Erfahrungen mit dem, was auch aus anderen Fächern als Jura schon hinreichend beschrieben worden ist. Es gab und gibt nur einen Grund, bei einem Fachverlag zu veröffentlichen: Die Sichtbarkeit der Arbeit im Bibliothekskatalog und die Beachtung durch das Schrifttum und durch die Rechtsprechung. […] Der Wandel wird nicht durch die Autoren kommen, er müßte notwendigerweise von der anderen Seite ausgehen, um den Autoren ein Signal zu setzen. Und warum sollte das so sein? Gerichte und Schrifttum haben dazu keinen Anlaß. Ein Verdienst der Verlage ist das gewiß nicht. Und erst recht kein Grund, ihnen einen Obulus aus den Einnahmen der VG Wort zuzuschachern, wie es die Bundesregierung nun wieder tun will.
Ich gebe ja die Hoffnung nicht auf, daß die Möglichkeit des Selbstverlags, die das Web, aber auch Print on Demand anbieten, hier mittelfristig einen Bewußtseinswandel hervorrufen. Denn wenn erst einmal eine kritische Masse erreicht ist, die zeigt, daß Verlage im Allgemeinen und Wissenschaftsverlage sowieso überflüssig sind, dann wird sich auch die Frage erledigen, warum man sie an einer wie auch immer gearteten Urheberrechtsabgabe beteiligen sollte.
Über …
Der Schockwellenreiter ist seit dem 24. April 2000 das Weblog digitale Kritzelheft von Jörg Kantel (Neuköllner, EDV-Leiter, Autor, Netzaktivist und Hundesportler — Reihenfolge rein zufällig). Hier steht, was mir gefällt. Wem es nicht gefällt, der braucht ja nicht mitzulesen. Wer aber mitliest, ist herzlich willkommen und eingeladen, mitzudiskutieren!
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