Der Streit um Gomringer-Gedicht auf Uni-Fassade eskaliert – Die »Alleen« werden übertüncht. 2011 hatte Eugen Gomringer, bolivianisch-schweizerischer Schriftsteller und Begründer der »Konkreten Poesie« den Alice Salomon Poetik Preis erhalten. Die damalige Hochschulleitung entschied daraufhin, sein spanischsprachiges Gedicht »Avenidas«, also »Alleen«, an die Fassade anzubringen und zahlte eine Lizenzgebühr. Der Schriftsteller hatte die Verse 1951 veröffentlicht. Also vor 67 Jahren. Übersetzt klingen sie so:
Alleen
Alleen und Blumen
Blumen
Blumen und Frauen
Alleen
Alleen und Frauen
Alleen und Blumen und Frauen und
ein Bewunderer
Doch den Studentinnen- und Studentenvertretern hat offenbar die Gender-Ideologie ins Gehirn geschissen: In einem offenen Brief kritisierte der ASTA der Hochschule im Frühjahr 2016 das Gedicht. Es reproduziere nicht nur eine klassische patriarchale Kunsttradition, es erinnere zudem unangenehm an sexuelle Belästigung, der Frauen alltäglich ausgesetzt seien – gerade auch am U-Bahnhof Hellersdorf (mich schaudert es: der Dorfbahnhof Hellersdorf, ein Hort der sexuellen Gewalt) und dem Alice-Salomon-Platz. Das Gedicht müsse entfernt oder ersetzt werden. Eugen Gomringer erklärte im vergangenen Jahr im Deutschlandfunk Kultur, er habe mit wenigen Worten eine Stimmung hervorrufen wollen. Gender-Sprache und politische Korrektheit hätten damals keine Rolle gespielt.
Mir kommt es vor, wie der Vorgang einer Säuberung. Da wird etwas weggesäubert durch eine andere Ideologie, die das verdrängen soll. Und darüber muß man reden, ob das gerechtfertigt ist.
Die Hochschulleitung gab diesem barbarischen Schwachsinn nach und will noch in diesem Jahr das Gedicht übertünchen und diese Bilderstürmerei durch ein Gedicht Barbara Köhlers kaschieren.
Peter Glaser zitiert in diesem Zusammenhang Nora-Eugenie Gomringer und erfand die zutreffende Bezeichnung »Text-Taliban« (Facebook-Link):
Unfaßbar, daß eine Universitätsleitung einem solchen adoleszent besserwisserischen Treiben nachgibt, das eine an den Haaren herbeigezogene, mit Gewalt auf das Thema sexuelle Belästigung hingebogene Interpretation dieses Gedichts von Eugen Gomringer durchdrücken will.
Ich kann nur hoffen, daß Barbara Köhler bei diesem Unsinn nicht mitspielt und ihre Zustimmung zu diesem Akt der Zensur verweigert.
Über …
Der Schockwellenreiter ist seit dem 24. April 2000 das Weblog digitale Kritzelheft von Jörg Kantel (Neuköllner, EDV-Leiter, Autor, Netzaktivist und Hundesportler — Reihenfolge rein zufällig). Hier steht, was mir gefällt. Wem es nicht gefällt, der braucht ja nicht mitzulesen. Wer aber mitliest, ist herzlich willkommen und eingeladen, mitzudiskutieren!
Alle eigenen Inhalte des Schockwellenreiters stehen unter einer Creative-Commons-Lizenz, jedoch können fremde Inhalte (speziell Videos, Photos und sonstige Bilder) unter einer anderen Lizenz stehen.
Der Besuch dieser Webseite wird aktuell von der Piwik Webanalyse erfaßt. Hier können Sie der Erfassung widersprechen.
Diese Seite verwendet keine Cookies. Warum auch? Was allerdings die iframes
von Amazon, YouTube und Co. machen, entzieht sich meiner Kenntnis.
Werbung