Geheimdienst-Sonderseite
In der letzten Woche haben sich die Meldungen zu NSA, Snowden, PRISM, GCHQ und andere geheimdienstliche Grausamkeiten überschlagen, so daß ich gar nicht nachgekommen bin. Daher heute ein verzweifelter Versuch einer Zusammenfassung:
#MerkelPhone
- US-Medien fürchten, daß das Vertrauen zwischen den USA und Deutschland durch die Abhöraffäre von Merkels Handy dauerhaft beschädigt werden könnte. Erstmals ist die Wut der Deutschen auch Thema in amerikanischen Medien. Die Sorge vor den (diplomatischen, aber auch wirtschaftlichen) Folgeschäden wächst.
- Nach dem mutmaßlichen Lauschangriff auf ihr Handy hat Bundeskanzlerin Merkel die USA scharf kritisiert. Die Bundesregierung will jetzt die gesamte Ausspähaffäre neu aufrollen. Kanzleramtsminister Pofalla sagte, alle NSA-Aussagen müßten erneut überprüft werden.
- Auch Westerwelle und Bosbach sehen Verhältnis zu den USA belastet. Aber wen interssiert, was die beiden denken?
- War es »nur« Merkels Parteihandy, das abgehört wurde? Denn eingentlich setze die Bundesregierung geschützte Telephone ein. Und warum wurde das Telephon der Kanzlerin schon im Juli plötzlich ausgewechselt? Ist die Bundeskanzlerin nun erpreßbar?
- Wurde Merkel aus der US-Botschaft in Berlin abgehört? Gibt es dort eine Abhörstation? Und stand Merkel schon seit 2002 auf der NSA-Überwachungsliste? Und seit wann wußte Obama Bescheid? Oder etwa doch nicht? Und warum wurde es nicht mit Obama diskutiert? Ist auch sein Name Hase? Und warum drückt sich das Weiße Haus vor Klarheit? Fragen über Fragen …
- Das Wall Street Journal jedenfalls berichtet, daß Merkel bis zum Sommer dieses Jahres ausgespäht worden sei und die New York Times will wisse, daß die NSA die Merkel-Überwachung aus Angst vor Entdeckung stoppte.
- Als Konsequenz aus der Affäre um Merkels abgehörte Handy hat der Hauptgeschäftsführer des IT-Verbandes Bitkom, Bernhard Rohleder, stärkere Anstrengungen für IT-Datensicherheit gefordert. Er will importierte IT-System bis auf das letzte Bit prüfen lassen.
- Niemand hatte die Absicht, die NSA-Affäre für beendet zu erklären: Es war ein Auftritt, der im Gedächtnis blieb: Mitte August erklärte Kanzleramtschef Ronald Pofalla die NSA-Spionage-Affäre für beendet. Nun rudert er zurück.
- Der Noch-Außenminister Westerwelle tauchte auch mal kurz aus der Versenkung auf und forderte als Entschuldigung für #Merkelphone eine US-Delegation. Irgendwie putzig …
- Der SPD-Fraktionschef Steinmeier meldet sich auch noch zu Wort und sieht das Verhältnis zu den USA schwer belastet. Ach nee …
Der Bundestag/die Bundesregierung soll’s richten
Europa soll’s richten
Die UN soll’s richten
Drohungen, Warnungen und Beschwichtigungen: Die Reaktionen aus den USA
- Die USA steht zur massiven Datensammlung der Geheimdienste und verteidigt diese, will aber – vielleicht – ein klitzekleinwenig weniger schnüffeln. Doch Dokumente sollen belegen, daß die Geheimdienste im Einklang mit den US-Gesetzen arbeiten.
- Zeigt die Kritik aus Europa langsam Wirkung?
- USA warnen Partner vor neuen Enthüllungen, denn sie sehen Geheimdienstaktionen in Gefahr, wenn einige von Snowdens 30.000 Dokumenten bekanntwerden. Noch weiter geht der (scheidende) NSA-Chef Keith Alexander in einem halbstündigen, seltsamen Propagandavideo: »Wir jagen Terroristen und schützen Bürgerrechte.« Der Whistleblower Edward Snowden sei kein Held, sondern habe Menschenleben auf dem Gewissen. Daher soll er als Spion angeklagt werden.
- Es ist ja alles nicht so schlimm, denn auch andre Länder hören Merkels Handy ab. Sagt der Obama-Berater James Andrew Lewis, und der muß es schließlich wissen. Eine EU-Studie kommt übrigens zu einem ähnlichen Schluß Die Massenüberwachung durch Geheimdienste sei schwer kontrollierbar.
- Werden die USA ihre Spionage nun ändern? Nein, glaubt der Journalist Greenwald, der gemeinsam mit dem früheren NSA-Mitarbeiter Snowden die Überwachung publik machte, in einem Interview mit dem Weltspiegel. Denn die USA hätten ungeheure Vorteile durch die Spionage. Und er forderte von Deutschland den Schutz von Edward Snowden. Und das ist richtig so, denn Edward Snowden ist unser Held.
Wen wundert’s: Die US-Geheimdienste gehen in die Offensive und können die weltweite Empörung über ausufernde Spionage nicht nachvollziehen. Die Berichte über die Lauschprograme seien völlig falsch und die anderen Staaten würden der NSA helfen oder die USA und ihre Bürger auch ausspionieren. Der BND? Die USA? Bruhahahahahaha …
- Zuckerbrot und Peitsche. Jetzt kommt das Zuckerbrot: Zwar dürfen die Deutschen nicht unter das Dach der US-Botschaft, doch die US-Regierung verspricht dennoch weiteren Dialog. Die NSA soll an die etwas kürzere Leine (so der US-Senat), die Spionage gegen IWF und Weltbank würde beendet (das heißt, sie hat früher stattgefunden) und auch sonst sei man doch eigentlich ganz lieb.
- Noch einmal das Zuckerbrot, auch No-Spy-Abkommen genannt: USA und Deutschland wollen Antispionageabkommen eingehen. Darin soll das gegenseitige Abhören von Regierungen und Politikern verboten werden. Vor allem aber soll die USA auf Industriespionage verzichten. Dann wird ja alles gut …
Neue Leaks
- NSA spioniert doch in Deutschland: Der Spiegel hat neue Snowden-Dokumente bekommen und meldet, daß die Special Collection Services (SCS)–Einheit der NSA an 80 Standorten weltweit geheime Überwachungsstützpunkte errichtet hat. In Deutschland stehen Berlin und Frankfurt explizit auf der Liste. Denn, so »Sicherheitsforscher«: Alle Deutschen werden vollständig abgehört. Von Regierungen, Geheimdiensten und Wirtschaftskriminellen.
- NSA spionierte deutsche Politik umfassend aus: Einem Bericht der New York Times zufolge hat der US-Geheimdienst nicht nur Merkels Handy, sondern auch die Telephonate zahlreicher Berliner Politiker abgehört. Dabei gehe es eindeutig um die Inhalte, die an US-Regierungsstellen weitergegeben würden. Doch der US-Botschafter beschwichtigt: »Wir halten uns an deutsches Recht«. Und ich mache mir die Hose mit der Kneifzange zu.
- NSA sammelte in Spanien binnen Wochen 60 Millionen Daten: Noch vergangene Woche hatte Spaniens Regierungschef erklärt, ihm lägen keine Beweise für NSA-Überwachung in Spanien vor. Nun enthüllen neue Dokumente das Ausmaß des NSA-Vorgehens.
- Wer Ohren hat, zu hören, der höre! (Matthäus 11:15) Die NSA hat auch den Vatikan belauscht und spähte sogar die Papstwahl aus. Endlich hat es einen wirklichen Schurkenstaaten erwischt.
- War das auch die NSA? Das finnisches wurde Regierungsnetz jahrelang ausgespäht.
- Flächendeckende Abhörung auch in Österreich: Laut dem Nachrichtenmagazin profil, das einen ehemaligen US-Agenten interviewt hat, betreibt die NSA in Österreich eine Abhörstation.
- Sie sammeln so viele Nummern, wie sie können: Nicht nur die Telefonate deutscher Politiker wurden regelmäßig von der NSA seit dem Kalten Krieg abgehört. US-Geheimdienste versuchten in jedem Land möglichst viele Informationen von den dortigen Entscheidungsträgern zu sammeln, berichtet die New York Times. Die können dann später durchsucht werden, etwa wenn die Zielperson Bundeskanzlerin wird.
MUSCULAR
Die Mittäter und die Scheinheiligen
Dark Mail Alliance
Ströbeles Coup
Was noch übrig blieb
- Ecuador zieht Asyl für Snowden weiterhin in Erwägung.
- Hedonistischer Widerstand: Mit einigen kleinen Tricks, die sogar Spaß machen, kann jeder passiven Widerstand gegen die Abschnorchelei leisten. Michael Bukowski glaubt zu wissen, wie …
- Noch ein Interview mit Glenn Greenwald: Der Überwachungsstaat ergreift nun die Macht im Netz.
- Nico Lumma rückt gerade: Das Handy von Merkel ist egal – es geht um unsere Daten!
- Gegenwind für die USA beim UN-Internetforum: Schwerer Stand für den Vertreter der USA beim 8. Internet Governance Forum in Bali: Seine Ausführungen, daß vom US-Geheimdienst gesammelten Informationen auch den Freunden der USA zu Gute käme, erntete harte Kritik.
- Free Snwoden: Unterstützer von Edward Snowden haben im Internet eine Spendenplattform für den Whistleblower gestartet. Die Zuwendungen, die über die Online-Plattform »Free Snowden« reinkommen, sollen Anwaltskosten des früheren US-Geheimdienstmitarbeiters decken
- F-Secure Chief Research Officer Mikko Hypponen hält das Internet für eine US-Kolonie.
- Norbert Rost hinterfragt in der Telepolis das deutsche Postgeheimnis: Juristisch sei er Laie. Aber muß man Jurist sein, um das Grundgesetz zu verstehen? Und gilt auf deutschem Boden deutsches Recht?
- Paßt doch: Das Museum für Kommunikation in Frankfurt zeigt derzeit bis zum 23.02.2014 eine Ausstellung rund um das Thema Überwachung mit dem Titel »Außer Kontrolle? Leben in einer überwachten Welt«.
- Technisch läßt sich offenbar wenig gegen Abhöraktionen von Mobiltelephonen machen. Daher hat ein Schweizer Sicherheitsexperte nun vorgeschlagen, auf Dialekte zurückzugreifen, die jeden Kryptologen verzweifeln lassen. Denn die NSA kann alles, außer schwäbisch.
- Oh, Freedom: Eben Moglen über Snowden, die Zukunft, das Universum und den ganzen Rest.
- NSA-Files entschlüsselt: Der Guardian hat mit »NSA Files decoded: What the revelations mean for you« eine tolle journalistische Erzählung darüber vorgelegt, was die Enthüllungen über den NSA-Überwachungsskandal bedeuten.
- Warum Google und Yahoo so sauer sind: Ihnen drohen Milliardenschäden durch die NSA-Aktivitäten. Amazon hält sich auffallend still. Sie bauen gerade ein Rechenzentrum für die CIA.
- Hier muß kräftig gegengesteuert werden: Der Bundesrichter Dieter Deiseroth zur NSA-Affäre, zu Geheimverträgen, Verfassungsbrüchen und der Souveränität Deutschlands.
- Das Schlußwort spricht Gernot Hassknecht (wer denn auch sonst): Er zieht behutsam die Konsequenzen aus dem NSA-Skandal und fordert den Rücktritt Angela Merkels. Genial wie immer, denn Gernot Hassknecht ist ein Lieber.
Das sind die Nachrichten und Ereignisse zum Skandal aus nur einer Woche. Ich habe das gesamte Wochenende dafür benötigt, sie zu lesen, zu sortieren und diese Zusammenfassung zu schreiben. Die Angelegenheit überfordert mich und macht mich zornig. Ich fordere daher die Politik endlich zum Handeln auf und das kann nur heißen (um eine gern genutzte Politikerfloskel zu zitieren) »brutalstmögliche« Aufklärung. Und die beiden Witzfiguren Friedrich und Pofalla sollten schnellstmöglich ihren Hut nehmen müssen, sie haben nicht nur versagt, sondern sie haben uns auch nach Strich und Faden belogen und verarscht. Und ich sehe keine Besserung, sondern nur neue Ablenkungsmanöver. (Kommentieren) (#)