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Wie zukunftssicher sind unsere Ideen?

Diese Frage stellte Dave Winer und brachte damit sein Mißtrauen gegenüber (nicht nur) kommerziellen Anbietern von Webservices am Beispiel von Medium zum Ausdruck. Entweder es wird eine große Firma daraus oder es wird Geschichte sein. Was passiert dann mit all den Texten, die die Leute mit Herzblut geschrieben und veröffentlicht haben? Werden auch sie Geschichte sein? Moden kommmen und vergehen: Veröffentlichte man vor kurzem seine Open-Source-Projekte noch bei Sourceforge, ist heute GitHub angesagt. Und in 25 Jahren?

Auch ich habe da so meine Erfahrungen, die ebenfalls mit Dave Winer zu tun haben. Der Schockwellenreiter begann vor über 15 Jahren als Manila-basiertes Weblog, das bei EditThisPage kostenlos gehostet wurde – vermutlich auf einem Serverchen bei Winer unterm Schreibtisch. Als der Service eingestellt wurde, verschwanden auch die ersten Jahre dieses Blogs. Zwar konnte ich mir noch einen XML-Dump ziehen, bin aber all die Jahre nicht dazu gekommen, daraus wieder mein Blog zu rekonstruieren. Der Aufwand war einfach zu groß.

Diesem Dilemma versucht Winer nun mit dem MyWord Editor zu entkommen. Dieser kommuniziert über eine einfache API mit einem nodeStorage-Server und kann seine Daten hinter allem ablegen, was HTTP versteht, sei es auf einem eigenen Server, gemieteten Webspace oder auch Amazons S3. Die Software ist Open Source (MIT-Lizenz) und Winer verspricht, daß sie von Anfang an als »Silo frei« konzipiert wurde.

Die aktuelle Version 0.67 ist dank des eingebauten MediumEditors schon recht nutzerfreundlich und hübsch geworden und kommt dem Vorbild immer näher. Aber das Editieren im Browser ist nicht jedermanns Sache (meine schon einmal gar nicht) und so möchte ich eine andere Idee Winers aufgreifen und erweitern: pagePark ist ein Node.js-basierter Server, der den Inhalt von Ordnern als statische Seiten herausschreibt (vgl. auch EC2 (nicht nur) für Dichter in diesem Blog Kritzelheft). Zur Zeit »kann« pagePark HTML, Markdown und OPML (und natürlich alle Media-Typen wie stinknormale Textdateien, Bilder, Videos etc). Außerdem verarbeitet er JavaScript. Auch wenn noch nicht vollkommen, löst diese Idee zumindest im Ansatz eines meiner größten Probleme. Da ich nach wie vor der Meinung bin, daß die Konvergenz in der Westentasche stattfindet, meine eigene World Markdown aber – da auf RubyFrontier und TextMate aufsetzend – in die Mac only (Desktop) Falle gelaufen ist, wäre so eine Architektur der Ausweg aus dieser Falle: Egal, ob ich meine Markdown-, OPML- oder JSON-Dateien auf dem iPhone, iPad oder Desktop schreibe, ich lade sie zu (m)einem (pagePark-) Server hoch und dieser Server schreibt daraus automatisch und im Hintergrund statische HTML- (und RSS-) Dateien, die er auf einem Server meiner Wahl ablegt. (Dabei ist natürlich die Frage des Hochladens von iOS-Devices vermutlich auch noch eine große Baustelle. Dropbox können sie (meistens), aber sonst?) Im Prinzip wäre dies das alte Radio UserLand-Prinzip, nur das man nicht mehr an einen Rechner mit einem Betriebssystem gebunden wäre.

Vollständig kann das pagePark noch nicht, aber die Idee hat mich inspiriert.

Aber auch an anderer Stelle wird darüber nachgedacht, wie wir uns das Web zurückerobern können. So schreibt zum Beispiel Hossein Derakhshan in seinem Plädoyer fürs Bloggen »The Web We Have to Save (auf Medium):

Nearly every social network now treats a link as just the same as it treats any other object — the same as a photo, or a piece of text — instead of seeing it as a way to make that text richer. You’re encouraged to post one single hyperlink and expose it to a quasi-democratic process of liking and plussing and hearting: Adding several links to a piece of text is usually not allowed. Hyperlinks are objectivized, isolated, stripped of their powers.

Ich wollte schon schreiben, daß im Gegensatz zu Blogs Social Media – ähnlich wie die ins Netz gehievten Printmedien – den Hyperlink scheuen wie der Teufel das Weihwasser, aber dann fiel mir gerade noch rechtzeitig ein, daß bei den Mode-, Food-, Auto- und sonstigen Pseudeo- und Werbebloggern auch keine Links (außer zu den beworbenen Produkten) zu finden sind. Und so erinnert Zeynep Tufekci in ihrer Antwort auf Hosseins Beitrag »The Web of Relationships We Have To Save« (ebenfalls auf Medium) daran, daß ein (Hyper-) Link nicht einfach nur ein Link sei, sondern eine Beziehung zwischen Menschen. Daran anknüpfend und die alte FOAF aufgreifend, propagiert David Weinberger in seinem Artikel »Restoring the Network of Bloggers« die Idee eines BOAB, eines Blogger of a Blogger-Netzwerkes und ermahnt uns alle, die gute alte Blogroll wieder ernst zu nehmen. Da muß ich mich auch an meine eigene Nase fassen: Meine Blogroll hatte ich jahrelang vernachlässigt und sie schließlich ganz aufgegeben. Ich gelobe Besserung.

Auch Winer treibt (natürlich) dieses Thema um. Anknüpfend an den Vox-Artikel »Is the media becoming a wire service?« von Ezra Klein macht auch er sich so seine Gedanken und er sieht die Zukunft der Nachrichten verwoben in einem Netzwerk aus Social Media, RSS-Feeds und Linkbloggern. Die Nachrichten werden zwischen dem offenen Web und den Datensilos hin- und herfließen und die RSS-Feeds werden der Kitt zwischen all dem sein.

Und River4 ist für Winer natürlich die Lese-App seiner Wahl. Daher hat er auch ein Tutorial veröffentlicht: Using River4 with filesystem storage. Neben einem lokalen Filesystem ist natürlich auch ein remote file system wie Amazon S3 möglich. Außerdem arbeitet er an einem neuen EC2 for Poets.

Eine andere Möglichkeit, den Datensilos zu entkommen, will Ryan Levefre herausgefunden haben: Running BitTorrent Sync on AWS or: how to get peace of mind for pennies a month. Ich bin mir noch nicht sicher, was ich davon halten soll, aber die Anleitung ist so leicht verständlich, daß sie glatt als »BitTorrent Sync and AWS for Poets« durchgehen könnte.

Was folgt aus alledem für mich?

Erstens: Ich sollte meine World Markdown nicht nur in einer abgespeckten Version zur Verfügung stellen, die es auch »Poets« ermöglicht, damit ähnlich komfortabel wie in »Medium« zu arbeiten, ich muß Ihr auch auf jedem Fall ein responsives Design verpassen. Dabei könnten mir unter anderem diese beiden Tutorials (und andere) der Kulturbanausen helfen:

  1. Responsive Webdesign mit Breakpoints und Media Queries
  2. Die CSS-Eigenschaft »object-fit« – Flexible Grafiken im HTML-Markup

Zweitens: Ich muß mit meiner World Markdown irgendwie der Mac only-Falle entkommen, in die ich mich mit RubyFrontier hineinmanövriert habe. Ich muß eine Möglichkeit finden, Artikel von überall her »instant« (d.h. »sofort«) zu publizieren, sei es von meinem Desktop, von meinem Smartphone oder gar aus einem Internet-Café heraus, ohne mich in die Abhängigkeit eines Datensilos zu begeben. Daher werde ich in der nächsten Zeit ein wenig mit pagePark herumspielen und mir auch die Quellen einmal anschauen. Vielleicht kann man da etwas aufbohren.

Drittens: Das wirft mich aber auch einen gewaltigen Schritt zurück: Software wie pagePark mag ja in der Lage sein, Markdown- und andere Dateien sofort als statische Seiten zu veröffentlichen, aber sie erzeuge daraus noch lange keinen RSS-Feed. Medium oder der MyWord Editor als serverseitige Applikationen können das, aber ich habe noch keine Ahnung, wie ich das für statische Seiten lösen soll.

Viertens (und das ist das einfachste): Ich sollte wieder eine Blogroll einrichten! Vielleicht mit Hilfe von River4?


(Kommentieren)  Wie zukunftssicher sind unsere Ideen? – 20150806 bitte flattrn




Über …

Der Schockwellenreiter ist seit dem 24. April 2000 das Weblog digitale Kritzelheft von Jörg Kantel (Neuköllner, EDV-Leiter, Autor, Netzaktivist und Hundesportler — Reihenfolge rein zufällig). Hier steht, was mir gefällt. Wem es nicht gefällt, der braucht ja nicht mitzulesen. Wer aber mitliest, ist herzlich willkommen und eingeladen, mitzudiskutieren!

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