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Natural-born Bloggers

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Konrad Lischka hat in seinem Artikel »Drei Kluge Gedanken über das Mitmachnetz« einen alten Bekannten, nämlich Jakob Nielsen wiederentdeckt, der sich in dem Aufsatz »Content Creation by Average People« aus dem Jahre 2000 Gedanken darüber machte, wie man jedermann und jedefrau dazu bringt, Inhalte im Netz zu publizieren. Ich glaube, ich hatte damals schon darüber geschrieben, daß es nicht darauf ankommt, daß jedermann und jedefrau im Netz schreiben muß, sondern daß jedermann und jedefrau im Netz schreiben kann. Andernfalls erinnert mich die Diskussion an eine Karikatur aus den 1968er Jahren, der Hochzeit der »antiautoritären Kindertagesstätten«, in der ein Kind die Erzieherin fragt: »Fräulein, müssen wir heute wieder das spielen, was wir wollen?«

Denn nicht jede und nicht jeder ist ein NBB, ein Natural-born Blogger, wie Dave Winer sich selber bezeichnet und auch ich mich bezeichnen möchte. Es ist eher so wie in der Musik: Jeder kann ein Instrument lernen, aber nicht jeder ist ein geborener Musiker. Oder im Sport: Jeder Junge hat mal Fußball gespielt, aber nicht jeder taugt zum Berufssportler.

Es ist doch eher so, wie es Winer in seinem Blogpost »There’s a content-editable community« unterschwellig anspricht. Zwar ist nicht jede eine geborene Bloggerin und nicht jeder ein geborener Blogger, aber wir sollten die Voraussetzungen schaffen, daß jede und jeder es sein könnte. Und das geht nur, wenn wir uns aus den Datensilos befreien und die Idee eines offenen Webs ernst nehmen. Und so nimmt es nicht wunder, daß sich Winer auch einen Open Source Slack Clone wünscht. Über Slack, der wilden Mischung aus »Facebook für’s Büro«, Messenger und Etherpad hatte ich ja seinerzeit schon mal berichtet und mir sogar einen Testaccount zugelegt, konnte aber bisher nicht allzuviel damit anfangen, weil Datensilo bleibt Datensilo. Ein Open Source Slack Clone würde die Situation natürlich dramatisch verändern und wie es in einem Update zu Winer Blogbeitrag zu lesen ist, scheint auch Slack selber der Idee nicht unbedingt ablehnend gegenüberzustehen.

Vielleicht, weil ihnen als abschreckendes Beispiel Twitter vor Augen steht, deren Aktie ja gerade einen dramatischen Absturz erlebt. Denn Twitter hat die Bedürfnisse der Nutzer häufig ignoriert, so auch zum Beispiel 2011, wo sie den Entwicklern anrieten, keine weiteren Twitter-Clients zu entwickeln. Sie wollten vielmehr, daß ihr API nur dazu genutzt wird, Read Only- und Analyse-Anwendungen zu schreiben. Twitter verstand (und versteht sich bis heute?) als Distributions-Kanal. Zur Eingabe sollen die Nutzer das »offizielle« Web-Interface oder die (ebenso »offizielle«) App nutzen, das API soll einzig und allein dem Füttern diverser Distributionskanäle dienen. Das ist natürlich von der Idee eines offenen Webs meilenweit entfernt. Winer wurde damals befragt, und er erinnerte daran, daß die beste Plattform für Entwickler eine »Platform With No Platform Vendor« sei.

Dem ist relativ wenig hinzuzufügen.

Was war noch?

In meinem Beitrag »Links für ein offenes Web« hatte ich auch auf Winers Kriterien für die Zukunftssicherheit unserer Texte im Web hingewiesen. Er hat seine Ideen noch einmal präzisiert, speziell auch im Hinblick auf Facebook Notes, Facebooks neuem Medium-Klone. Und er hat noch einmal erläutert, warum er – trotz aller Kritik – an Twitter als Authentifizierungs-Werkzeug für nodeStorage festhält.

Wer wirklich einmal eine konservative, kulturpessimistische Einschätzung des Neulands lesen möchte, der lese Konrad Lehmanns Interview mit Ingo Leipner, der zusammen mit Gerald Lembke behauptet, daß digitale Bildung eine Lüge sei. Der Wirtschaftsjournalist und der Wirtschaftswissenschaftler haben darüber stante pede ein Buch unters Volk gebracht. Für die Konservativen meiner Jugend waren Comics und das Fernsehen die böse Medien, die uns Kinder angeblich vom Lernen, vom Spielen auf der Straße und vom Erwerb sozialer Kompetenzen abhielten, für die Konservativen von heute ist es das pöse, pöse Internet.

Auf der anderen Seite gibt es aber auch grandiose Selbstüberschätzungen, wie uns Jan Tißler durchaus charmant und humorvoll in den 5 Tricks erfolgreicher Tech-Schreiberlinge näher bringt.


(Kommentieren)  Natural-born Bloggers – 2015082102 bitte flattrn

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Über …

Der Schockwellenreiter ist seit dem 24. April 2000 das Weblog digitale Kritzelheft von Jörg Kantel (Neuköllner, EDV-Leiter, Autor, Netzaktivist und Hundesportler — Reihenfolge rein zufällig). Hier steht, was mir gefällt. Wem es nicht gefällt, der braucht ja nicht mitzulesen. Wer aber mitliest, ist herzlich willkommen und eingeladen, mitzudiskutieren!

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