Jan Tißler hat im UPLOAD-Magazin einen schönen Artikel veröffentlicht, in dem er sein Wunsch-Redaktionssystem für digitale Magazine beschreibt. Erst einmal stellt er fest, daß es eigentlich möglich sei, mit geringem finanziellen Aufwand ein Web-Magazin auf die Beine zu stellen, die Werkzeuge an sich seien alle da. Aber:
Allerdings arbeiten sie in der Regel nicht zusammen und bieten zudem nicht alle Funktionen, die ein wirklich gutes Tool ausmachen würden.
Er möchte ein Tool, daß nicht nur den Workflow für die Redaktion abbildet, sondern neben einer Website auch die Erstellung von Apps (iOS, Android) und Ebooks (PDF, Mobi, EPUB) unterstützt. Bisher nutzen sie dafür Werkzeuge, die nebenher existieren und nur durch den intensiven Gebrauch von Copy&Paste irgendwie zur Zusammenarbeit zu bewegen sind. Das gilt auch für den Workflow, wo Evernote für die Planung, Slack für interne Absprachen und die gute alte Email für die Kommunikation benutzt wird.
Er erinnert auch daran, daß für die verschiedenen Zielplattformen der Inhalt flexibel anpaßbar sein muß, da es nicht reiche, »die exakt gleichen Inhalte einfach in jede verfügbare Plattform zu kippen«.
Als einen Schritt in die richtige Richtung sieht er das WordPress-Plugin Press-Room, mit dem man aktuell seine Inhalte in WordPress erfassen und dann sowohl als statisches HTML, als auch als iOS-App ausgeben kann. Weitere Zielplattformen seien geplant. Press-Room gibt es in einer frei erhältlichen Version (GPL) sowie als eine kostenpflichtige SaaS-Variante mit weiteren Funktionen.
Damit wäre endlich auch eine alte Forderung von mir erfüllt, nämlich die Trennung von Redaktionsserver (WordPress) und Produktionsserver (statische Seiten, zum Beispiel auf Amazon S3). Und für einen einzelnen Autor spräche auch nichts dagegen, den Redaktionsserver zum Beispiel auf dem Desktop zu betreiben. Das wäre so etwas wie das gute alte Radio UserLand in modernem Gewand. Aber da fast jeder ISP heute Unterstützung für WordPress anbietet, steht natürlich auch dem Betrieb des Redaktionsservers auf gemietetem Webspace nichts im Wege. Eine Installation auf Amazons EC2 wiederum hätte den Vorteil, daß der Transfer zwischen EC2 und S3, also das »Hochladen« der statischen Seiten, kostenlos wäre. Vielleicht sollte auch ich einmal so ein Tutorial wie Dave Winers EC2 for Poets schreiben.
Auf jeden Fall sollte ich mir Press-Room einmal genauer anschauen, es könnte ein nützliches Werkzeug sein, den Datensilos zu entkommen und die Art und Weise wie ich blogge dieses Kritzelheft vollschreibe, noch einmal gründlich verändern. Wie immer in solchen Fällen habe ich dem Plugin erst einmal eine Seite in meinem Wiki spendiert. Still digging!
Mich hat der Artikel von Jan Tißler sowie auch ein Beitrag vom Nachbarn neben, der ein Email-basiertes Anti-Facebook vorstellte, an ein Buch erinnert, das zwar schon uralt (von Oktober 1999), aber immer noch noch eine meiner Inspirationsquelle ist. Jon Udell stellt in Practical Internet Groupware das Redaktionssystem vor, das er seit 1995 für die Zeitschrift BYTE, deren Webmaster er damals war, gebastelt hatte. Es basiert auf Emails, Newsgroups und statischen Seiten, die mit einer Handvoll Perl-Skripte miteinander verknüpft sind. Auch wenn einiges, speziell von der Anmutung der Webseiten, heute stark antiquiert aussieht, die (theoretischen) Überlegungen Udells haben vielfach nichts von ihrer Aktualität verloren. Und so mag es auch niemanden meiner Leser verwunden, daß dieses Buch auch die Inspirationsquelle für mein Email-Kommentarsystem war. Und so halte ich auch die Idee eines emailbasierten Anit-Facebooks nicht unbedingt für abwegig (der Nachbar ist da skeptischer).
Dave Winer forderte bekanntlich einen Open Source Slack Klon, Facebook scheint ihn gehört zu haben und die angebliche Slack-Alternative Zulip unter der Apache-Lizenz veröffentlicht und auf GitHub zum Download bereitgestellt. Ob Zulip tatsächlich zur Slack-Alternative taugt oder ob es doch nur eine etwas aufgebohrte Chat-Variante ist, weiß ich noch nicht. Momentan scheint Slack jedenfalls voll im Trend zu liegen, so daß eine freie Alternative durchaus wünschenswert wäre. Ich werde mir das Teil daher bei Gelegenheit einmal genauer anschauen. Noch einmal: Still diggin!
Derweil sickerte durch, daß Google und Twitter gemeinsam an einer Publishing-Plattform bauen. Dieser Vorstoß richtet sich vermutlich gegen Apple, dessen Nachrichten-App mit Exklusiv-Inhalten punkten will, vor allem aber gegen Facebooks Instant Articles. Winer jedenfalls, der wohl über Vorabinformationen verfügt und gerade ziemlich begeistert ist, weil Facebook RSS für diese Instant Articles nutzt, ist alarmiert und befürchtet eine Balkanisierung der Nachrichten. Er wünscht sich eine Medium-ähnliche Möglichkeit, via RSS Beiträge in Facebook (und anderswo) zu veröffentlichen. Zumindest ein wenig scheint ihn Facebook gehört zu haben. Das zur Zeit ausgerollte Facebook Notes sieht schon ziemlich Medium-ähnlich aus. Ob diese aufgebohrte Notizfunktion (Facebook-Link) aber tatsächlich Winers Wünsche entspricht oder doch nur ein weiteres Datensilo ist, bleibt abzuwarten. Zum dritten Mal: Still digging!
War sonst noch was? Ach ja, Stefan Niggemeier schreibt über die große Chance und den kleinen Haken von Blendle. Der Online-Kiosk Blendle, an dem man einzelne Artikel aus Zeitungen und Zeitschriften kaufen kann, will so etwas wie das iTunes für Nachrichten sein und ist gefühlt der 100. Versuch, die traditionelle Medienlandschaft der Bewußtseinsindustrie im Zeitalter des Internets zu retten. Das ist in meinen Augen genauso wenig erfolgversprechend, wie die Nachricht der Krautreporter, daß sie sich ab dem 15. Oktober dieses Jahres hinter einer Bezahlschranke verstecken werden. Leser wie ich, die die Krautreporter als (kostenlosen) RSS-Feed in ihrem Feedreader abonniert hatten, werden auch noch als »Trittbrettfahrer« beschimpft. Liebe Krautreporter, so wird das nix! PLONK! [Bild: Jean-Jacques Henner: La Liseuse, Quelle: Wikimedia Commons]
1 (Email-) Kommentar
Re Krautreporter: Wenn ich da sowas wie https://krautreporter.de/890--sie-mahnen-ab-sie-kassieren-wer-sind-waldorf-frommer lese, eine sehr einseitige Darstellung ohne Hintergrundinfos, dann denk ich mir dass es nicht unbedingt schade um sie ist.
Ansonsten glaube ich nicht dass wir ein Redaktionssystem brauchen, denn ich hoffe dass der Mittelsmann „Redaktion“ bald überflüssig wird. Ich hätte schon jetzt gerne eine Plattform, wo jeder Artikel veröffentlichen kann, und die Leser entscheiden, wen sie lesen wollen (und der Autor dafür dann das Geld bekommt).
– Ingo K. (Kommentieren) (#)
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