Die Grundwerte-Kommission der Partei, die SPD-Juristen, die Jusos, mehrere SPD-Landesverbände, der Arbeitnehmerflügel, die SPD-Frauen und zahlreiche Landes- und Kreisverbände – sie alle hatten klargestellt, daß CETA die roten Linien überschreitet, die die SPD gezogen hatte. Dennoch haben die Delegierten des gestrigen Parteikonvents in Wolfsburg dem Antrag des Parteivorstands zugestimmt und sich klar für das CETA-Abkommen ausgesprochen. Damit ist auch meine rote Linie überschritten und ich habe heute folgenden Brief an den SPD-Landesvorstand Berlin geschrieben und nach fast 47 Jahren Mitgliedschaft meinen Austritt aus der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands erklärt:
Hiermit erkläre ich meinen Austritt aus der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, der ich seit Anfang 1972 angehöre und der ich in vielen Funktionen (vom Kassierer, Juso-Vorsitzenden, Landesdelegierten, Abteilungsvorsitzenden etc.) gedient habe. Aber der jüngste Beschluß des Konvents in Wolfsburg, sich entgegen der Stimmung der Parteibasis und der Meinung der Bevölkerung für das umstrittene Freihandelsabkommen CETA einzusetzen, hat das Faß endgültig zum Überlaufen gebracht.
Einer meiner Hochschullehrer, Wolfgang-Fritz Haug, hatte seinerzeit die These vertreten, der ich ebenfalls zustimme, daß fortschrittliche Politik nur mit Standpunkt und Perspektive erreicht werden kann. Den (Klassen-) Standpunkt hat die Partei aber schon lange aufgegeben und die Perspektive des demokratischen Sozialismus hat sie auf ihrem Weg zum Steigbügelhalter des neoliberalen Turbokapitalismus’ ebenfalls verloren.
Ich bin und bleibe mit meinem ganzen Herzen und aus fester Überzeugung Sozialdemokrat. Nur schade, daß es davon nur noch sehr wenige in der SPD gibt.
Ob überhaupt und wenn ja wo ich mir eine neue politische Heimat suche, weiß ich noch nicht. Aber ein fast 47jähriger Abschnitt meines Lebens ist damit abgeschlossen. Ich bin ein wenig traurig darüber, aber ich möchte morgens wieder mit Würde in den Spiegel schauen können.
4 (Email-) Kommentare
Danke für die Konsequenz und Gratulation zum gelungenen Austritt aus der Parteifilterblase. Rechne mal damit, dass viele neue Ansichten auf dein »ich« einprasseln.
(Ich bin zur Einsicht gelangt, dass jegliche Organisation oder Körperschaft zuallererst eine institutionelle Filterblase ist und zur Abschirmung der in ihr versammelten Kohorte vor Ideen "von aussen" dient.)
– Peter F. (Kommentieren) (#)
Lieber "Ex"
auch ich habe mein sozialdemokratisches Herz nicht weggeworfen als ich die Partei verließ. Meine gute alte Tante SPD hat sich geändert.
Noch heute, ein Jahr "danach" tut es mir im tiefsten Herzen leid,aber ich kann und will diese Politik nicht mehr vertreten.
✊🏽
– Julia (Kommentieren) (#)
Lieber Ex-Genosse,
auch ich werde nach der Entscheidung des Konvents die Konsequenzen ziehen nach 11 Jahren SPD. Weil ich den Mut eines Schröders bewunderte dieses heiße Eisen Sozialwesen anzufassen und reformieren zu wollen bin ich damals Mitglied geworden. Leider musste ich im Laufe der Zeit erkennen, dass es nicht um die Erneuerung und Aktivierung der Arbeitssuchenden ging, sondern schlicht weg um die Liberalisierung des Arbeitsmarktes und das Entstehen einer Arbeitslosenindustrie. Notwendige Änderungen und Weichenstellungen wurden von den neuen Machtverhältnissen nach der Einführung des neuen SGB II nicht mehr gemacht. Und wenn doch, dann nicht zum Wohle der Menschen. Die Zeitarbeit uferte aus und das Lohndumping begann richtig. Trotzdem gab ich immer wieder die Hoffnung nicht auf und blieb meiner SPD treu. Als in Hessen der Dolch in den Rücken von Ypsilanti (man mag von ihr halten was man will) von den eigenen Genossen gestoßen wurde, blieb ich treu. Als unsere Bundestagsabgeordnete von den eigenen Genossen in der Presse Demontiert und verunglimpft wurde, blieb ich treu. Als die Groko gewählt und von den Mitgliedern bestätigt wurde, obwohl man immer dagegen gesprochen hatte im Wahlkampf, blieb ich treu. Aber jetzt mit der CETA Entscheidung ist die eine rote Linie für mein sozialdemokratisches Herz endgültig überschritten. Ich werde auf der Mitgliederversammlung meines Ortsvereins nächste Woche meinen Austritt erklären. Wie du, lieber Ex-Genosse, wird das ganze politisch gesehen eine riesen Lücke hinterlassen. Es macht mich mutlos für Deutschland. Wer wird die Sozialdemokratie vertreten, wen kann ich mein Vertrauen und meine Stimme schenken, wenn die SPD nun mehr die Wende zur Sozialliberalen Partei Deutschlands gemacht hat?
Falls du eine Antwort weißt oder jemanden kennst, der eine neue Sozialdemokratische Partei gründet, lass es mich wissen.
– Georg W. (Kommentieren) (#)
Mein EDV-kundiger Sohn stellt mir regelmäßig subversive Seiten zu, die ich in einer Art Masochismus genieße, so auch der schockwellenreiter mit den Meldungen über Austritte aus der SPD wegen der jüngsten CETA-Entscheidung.
Ich bin seit 1960 SPD-Mitglied. Weil einem der Pfarrer (Gabriel und der Parteivorstand) nicht passt, tritt man nicht gleich aus der Kirche aus, aber irgendwann langt es dann doch.
Ein Grund für meine Antwort: Ich bin auch Agility-Sportler, allerdings mit fat 82 Jahren (mein Border ist jünger) limitiert.
– Erik M. (Kommentieren) (#)
Über …
Der Schockwellenreiter ist seit dem 24. April 2000 das Weblog digitale Kritzelheft von Jörg Kantel (Neuköllner, EDV-Leiter, Autor, Netzaktivist und Hundesportler — Reihenfolge rein zufällig). Hier steht, was mir gefällt. Wem es nicht gefällt, der braucht ja nicht mitzulesen. Wer aber mitliest, ist herzlich willkommen und eingeladen, mitzudiskutieren!
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