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Mit den Augen des Computers – Computer und das Unerwartete

Ich stehe ja noch bei Moss im Wort, über meine (langjährige) Pickover-Leseerfahrungen zu berichten. Mein erstes Pickover-Buch war »Mit den Augen des Computers – Phantastische Welten aus dem Geist der Maschine«, die 1992 erschienene deutsche Übersetzung des 1991 im englischen Original veröffentlichten Bestsellers Computers and the Imagination. Natürlich wußte ich, das amerikanische Sachbücher oft viel journalistischer und spannender sind, als daß, was trockene deutsche Autoren im Stile von Gymnasiallehrern verbrechen (schließlich kannte ich als regelmäßiger Leser der »Spektrum der Wissenschaft« Dewdney, Stewart, Hogben, Gardner, Hofstadter und andere), aber dieses Buch war dennoch eine Offenbarung: Pickover fabuliert wild darauf los, springt – nur von seiner Phantasie getrieben – von Thema zu Thema ohne Rücksicht auf Zusammenhänge und illustriert alles mit seltsamen, oft ironischen Bildern. Dazu gab es kleine Programme im Pseudocode zum Nachprogrammieren (mit einigen davon ist damals mein kleiner Atari regelrecht heißgelaufen) und man erfuhr etliches mehr oder weniger Wissenswertes über die Mathematik dahinter.

Der geneigte Leser las en passant so etwas über Primzahl-Kurven, über Wettbewerbe um die größte Zahl oder über zentriert-hexamorphe und tortenmorphe ganze Zahlen oder oszillierende undekamorphe und oszillierende pseudofareymorphe ganze Zahlen. Wurde es einem zu mathematisch, gab es Zwischenspiele mit fraktalen Gänsen, schmerzerregenden Mustern oder Spiegelwelten.

Und natürlich wurde wild spekuliert: Wie wäre die Welt, wenn es schon um 1900 einen Personalcomputer gegeben hätte oder wie sähe sie aus mit einem Supercomputer in der Größe einer Getränkedose (so ein Teil hat heute ja fast jeder in seiner Tasche – man nennt es nur nicht mehr Supercomputer, sondern Samrtphone).

Wir schreiben schließlich 1992, daher geht es in diesem Buch natürlich auch um die damaligen Modethemen Chaos und Fraktale, es gibt Beispielprogramme für den Cantor-Käse, die Schmetterlingskurve, den Ikeda-Attraktor und vieles mehr.

In meinen Augen das Spannendste war und ist bei Pickover aber der (fast) immer voluminöse Anhang mit Literaturangaben ohne Ende (wobei er auch »ungewöhnliche« Literatur nicht ausläßt), Anregungen zu weiteren Experimenten und Anmerkungen für neugierige Leser.

Auch wenn Pickovers spätere Ausflüge in die Esoterik mich manches Mal gewaltig ärgerten, dieses Buch hatte mich zu einem Fan gemacht. Denn so und nicht anders müssen Sachbücher aussehen. »Mit den Augen des Computers« ist in meinen Augen das beste Pickover-Buch, das ins Deutsche übersetzt wurde, andere tolle Bücher von ihm wie »Mazes for the Mind«, »Computers, Pattern, Chaos, and Beauty – Graphics from an unseen world« oder »Chaos in Wonderland« haben leider nie den Sprung über den Teich geschafft. Aber »Mit den Augen des Computers« gibt es schon für wenige Cent (zuzüglichen Versandkosten) beim Internet-Buchriesen. Also kein Grund, dieses wundervolle und auch nach den vielen Jahren immer noch lesenswerte Buch nicht in sein Bücherregal zu stellen.


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