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Feiertagslektüre: Grandvilles andere Welt

In diesen seltsamen Zeiten liest man öfter von dem Wunsch, daß dieses Jahr dringend einen Neustart bräuchte. Man möchte ein anderes 2020, eine »andere Welt«. Doch Grandville zeigt, daß der Weg in eine andere Welt kein Garant dafür ist, daß es eine bessere Welt wäre. Walter Benjamin schrieb:

Die Weltausstellungen bauen das Universum der Waren auf. Grandvilles Phantasien übertragen den Warencharakter aufs Universum. Sie modernisieren es. Der Saturnring wird ein gußeisener Balkon, auf dem die Saturnbewohner abends Luft schöpfen. […] Die Mode schreibt das Ritual vor, nach dem der Fetisch Ware verehrt sein will. Grandville dehnt ihren Anspruch auf die Gegenstände des alltäglichen Gebrauchs so gut wie auf den Kosmos aus. Indem er sie in ihren Extremen verfolgt, deckt er ihre Natur auf. Sie steht im Widerstreit mit dem Organischen. Sie verkuppelt den lebendigen Leib der anorganischen Welt. Aus dem Lebenden nimmt sie die Rechte der Leiche wahr. Der Fetischismus, der dem Sex-Appeal des Anorganischen unterliegt, ist ihr Lebensnerv. Der Kultus der Ware stellt ihn in seinen Dienst.

Die deutsche Erstausgabe von Grandvilles »Un Autre Monde« erschien 1847 in Leipzig bei der Verlagsbuchhandlung Carl Berendt Lorck. Der fiktive Autor Plinius der Jüngste des Titels beschreibt im Buch also nicht die tatsächliche, sondern eine Andere Welt. Während der Autor des französischen Originals anonym blieb, weiß man, wer sich hinter Plinius dem Jüngsten versteckte. Er war Oskar Ludwig Bernhard Wolff (1799–1851), Schriftsteller, Übersetzer und vorübergehend Privatsekretär Goethes. Wolff lieferte eine inhaltlich korrekte, aber relativ freie Übersetzung, um den deutschen Lesern das Verständnis des äußerst ungewöhnlichen Textes zu erleichtern.


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Über …

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