Eigentlich wollte ich nach meinem Covidioten- und Prenzelbergschwaben-Rant vor einem Monat hier im Blog Kritzelheft nichts mehr zum Thema Corona und die Unfähigkeit und Ahnungslosigkeit der Politik schreiben. Aber nachdem der Versuch, mit Schnelltests vom Impfdebakel abzulenken, grandios in die Hose gegangen ist und die Politiker mehr und mehr den Rückhalt in der Bevölkerung verspielen, konnte ich nicht anders, als doch noch mal die (für mich) wichtigsten Meldungen zusammenzustellen. Hier in möglichst chronischer, aber doch inhaltlich zusammengefaßter Reihenfolge die gigantische Chronik des Versagens sowohl der Bundesregierung und der Bundesländer wie auch der Europäischen Union (die zumindest Fehler einräumt – wenn auch ohne Konsequenzen daraus zu ziehen):
[Update – Eilmeldung]: Deutschland stoppt AstraZeneca-Impfungen. Deutschland setzt vorübergehend Corona-Impfungen mit dem Wirkstoff von AstraZeneca aus. Das teilte das Bundesgesundheitsministerium mit. Zuvor hatten bereits andere Staaten (Dänemark, Norwegen, Island, Bulgarien, Irland, Niederlande, Österreich, Estland, Lettland, Litauen) wegen möglicher Nebenwirkungen des Präparats die Impfungen gestoppt. Ankündigungsminister Jens Spahns Ministerium hat – wie gewohnt – erst einmal geschlafen und so ziemlich als letztes europäisches Land reagiert.
»Unseriöses Profitstreben?« BioNTech/Pfizer wollten 54 Euro pro Dosis Impfstoff. Warum regten sich einige darüber auf? So funktioniert nun mal Kapitalismus! Derweil forschen zwei Österreicher an einem Impfstoff gegen Covid-19 der weniger als einen Dollar kosten soll.
Berlin will ab Anfang März Menschen zwischen 70 und 80 Jahren zum Impfen einladen, Brandenburg die 80- bis über 85-Jährigen – endlich auch mit einer Online-Terminvereinbarung – aber die nur für Kita- und Schulpersonal. Bei der Impfgeschwindigkeit werden Menschen zwischen 60 und 70 Jahren nicht vor September 2021 geimpft werden können.
Derweil macht Großbritannien noch mehr Tempo gegen Corona: Bis Ende Juli 2021 soll jeder Erwachsene eine Corona-Impfung bekommen können. Großbritannien kann das, denn Großbritannien ist nicht in der EU.
Auch daß Israel in der Pandemie als Impf-Weltmeister dasteht, kommt nicht von ungefähr. Premier Netanyahu verfolgte von Anfang an eine klare Strategie und könnte damit doppelt erfolgreich sein. Denn auch Israel ist nicht in der EU.
Das passiert, wenn man die Gesundheitsfürsorge privatisiert: Trotz oder gerade wegen Corona bangen Berliner Krankenhäuser um ihre Existenz. Denn – ich schrieb es oben schon – so funktioniert nun mal Kapitalismus. So wird das auch nichts mit einer angemessenen Bezahlung für das Pflegepersonal, um die Flucht aus den Pflegeberufen zu stoppen. Es haben zu Beginn der Pandemie doch alle geklatscht. Das muß reichen.
Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln: Ab der letzten Februarwoche sollten sich auch chronisch Kranke ab 65 Jahren impfen lassen können, versprach Berlins Gesundheits- und »Ankündigungssenatorin Kalayci, sie bräuchten dafür nur ein Attest ihres Arztes. Doch die Details waren offenbar nicht geklärt. Nun gibt es ein neues Vorgehen.
Stau auf den Impfstraßen: Die Impfzentren in Deutschland sind derzeit nicht ausgelastet. Das liegt am fehlenden Impfstoff. Erst Ende März könnte sich das ändern. Aber sind die Impfzentren darauf vorbereitet? Es ist ein Impfdesaster mit Ansage. Außerdem gilt für die Biotech-Branche in Deutschland: Viele Ideen, wenig Geld, denn Deutschland scheut das Risiko – auf Kosten der Gesundheit.
Das Impfverfahren könnte erheblich beschleunigt werden, wenn endlich in den Arxtpraxen geimpft würde. Haus- und Betriebsärzte halten 25 Millionen Impfungen im Monat für machbar und meinen, daß wir schon deutlich weiter sein könnten. In Berlin seien 3.000 Praxen impfbereit. Brandenburg würde auch gerne, doch die Impfverordnung des Bundes müßte geändert werden. Gesundheitsminister Spahn »kündigt zeitnah« Voraussetzungen dafür an. Nun bieten in einem Modellprojekt 100 Arztpraxen in Berlin Corona-Impfungen an.
Thomas Mertens, der Chef der Ständigen Impfkommission (Stiko) meint zum AstraZeneca-Debakel, daß es irgendwie nicht gut gelaufen sei. Das Bundesgesundheitsministerium glaubt, mit einer neuen Verordnung würde alles besser. Und über 65-Jährige sollen damit jetzt auch geimpft werden. Berlin stellte Sonntag die Terminbuchung um - und Brandenburger müssen bei der Onlinebuchung etwas »tricksen«.
In Deutschland organisieren erste Firmen in Eigenregie Schnelltests, weil sie nicht auf Spahn warten können oder wollen.
Um vom Impfversagen abzulenken, hatte Gesundheits- und »Ankündigungsminister« Spahn kostenlose Schnelltests für alle ab 1. März angekündigt. Doch dann wurden die Plänge gestoppt. Berlins Regierender Müller hält dies für nicht lustig und auch seine Gesundheitssenatorin kritisiert den Bund für die »hingeschmissene« Teststrategie. Dabei wird ihr selber, respektive ihrer Verwaltung eine frustrierende Informationspolitik vorgeworfen,
Nachdem der »Ankündigungsminister« letzte Woche Schnelltests für alle versprach, gab es einen Ansturm bei den Discountern. Doch die Nachfrage war so groß, daß diese schon nach kurzer Zeit ausverkauft waren. Die Kritik an Spahns Krisenmanagement auch bei den Schnelltests wächst und wächst und wächst …
Wenn etwas knapp wird, beginnt todsicher ein Kampf um den begehrten Stoff. So wurden im Landkreis Ostprignitz-Ruppin Feuerwehrleute und Kita-Mitarbeiter geimpft, die eigentlich noch nicht an der Reihe gewesen wären. Der Landrat verteidigt das: Im Impfzentrum Kyritz wären sonst viele Impfdosen liegen geblieben.
Aber auch Regierender Bürgermeister Müller bringt Änderung der Impfreihenfolge ins Spiel.
Wenn alle an der Impfreihenfolge schrauben, dann darf natürlich auch Franziska Giffey nicht fehlen: Sie will Lehrer und Erzieher vorzeitig impfen lassen. Aber wenigstens hat sie eine Idee: Sie sollen an den Schulen geimpft werden.
In dier gleiche Kerbe schlägt der Verband Bildung und Erziehung (VBE): Er warnt vor dem Corona-Risiko, dem Lehrkräfte bei der Rückkehr zum Präsenzunterricht ausgesetzt sind. Rasche Impfangebote müßten her. Bildungsministerin Karliczek unterstützt entsprechende Pläne.
Auch Gesundheits- und »Ankündigungsminister« Spahn will die Impfungen für Lehrkräfte und Erzieher vorziehen - sie könnten in die Priorisierungsgruppe zwei aufrücken. Dazu ist eine Änderung der Impfverordnung geplant in Kraft getreten. Seit Anfang März lädt daher Berlin alle Erzieherinnen und erste Lehrkräfte zum Impfen ein.
Und auch Brandenburgs Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) schraubt an der Impfreihenfolge. Sie kaschiert das als »Beschleunigung«.
Auch Polizisten und Feuerwehrleute werden in der Impfreihenfolge vorgezogen: Die Berliner Polizei begrüßt dies. Natürlich!
Einige Politiker haben den Kampf um die Impfreihenfolge in die eigenen Hände genommen. So auch Halles Oberbürgermeister Bernd Wiegand. Der ließ sich und zahlreiche Stadträte vorzeitig impfen. Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft.
Der Cottbuser Oberbürgermeister Holger Kelch (CDU) hat sich mit einer »kreativen« Begründung vorzeitig impfen lassen. Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft.
Der FDP-Politiker und Landtagsabgeordnete in NRW, Ralph Bombis, ist nicht nur mit 49 Jahren schon gegen Corona geimpft, sondern auch seine Frau und weitere Personen aus seinem »engen persönlichen Umfeld« wurden vorzeitig geimpft. Jetzt tritt von allen Parteiämtern zurück. Sein Landtagsmandat will er aber behalten.
Wegen ungenutzter Astrazeneca-Dosen sollen Berliner Obdachlose vorzeitig Corona-Impfung erhalten.
… auch am Urbanhafen: Zweitausend bis zweieinhalbtausend Menschen tanzten letzten Monat in Berlin zu Techno-Musik auf dem Eis – und auch ein DJ war dabei. Polizisten haben die nicht genehmigte Veranstaltung dann aufgelöst. Weil nur wenige Beamte vor Ort waren, habe man den Verstößen gegen das Infektionsschutzgesetz nicht nachgehen können.
… auch in Neukölln: Wegen Verstößen gegen die Infektionsschutzverordnung hat die Polizei in Nacht vom 20. Februar 2021 in Neukölln eine illegale Discoveranstaltung mit 33 Personen aufgelöst. Ein 38-jähriger DJ kam wegen Drogenbesitzes laut Polizei kurzfristig in eine Gefangenensammelstelle. Das Gebäude wurde nach dem Einsatz verschlossen und versiegelt. Es laufen nun mehrere Verfahren wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittel- sowie das Infektionsschutzgesetz.
… auch im Mauerpark: Das milde und sonnige Wetter Ende Februar hatte Tausende ins Freie gelockt. Besonders voll wurde es im Berliner Mauerpark. Dort mußte die Polizei kurzzeitig die Zugänge sperren.
… auch in Rangsdorf: Polizei beendet Hochzeitsfeier mit 36 Personen in Wohnung.
… auch in Senftenberg: Einige Teilnehmer eines Autokorsos gegen die Corona-Maßnahmen in Senftenberg (Oberspreewald-Lausitz) sollen den Hitlergruß gezeigt haben - der Staatsschutz der Brandenburger Polizei ermittelt.
… auch in Tempelhof-Schöneberg: Unerlaubt geöffnete Gaststätten und Sonnenstudio geschlossen. Trotz Lockdown fanden sich 30.000 Euro in Geldspielautomaten.
… auch in Belgien: Mit dem Frühlingswetter haben sich belgische Innenstädte in Festival-Zonen verwandelt. Jeden Abend treffen sich überall im Land Tausende Menschen. Politik und Ordnungskräfte wirken überfordert.
… auch in Friedrichshain: Auf der Warschauer Brücke ist eine Demonstration unter dem Motto »Kunst und Kultur trifft sich in Friedrichshain« vorzeitig beendet worden. Sie wurde auch »Freedom Rave« genannt und dort seien die Hygiene-Vorgaben und Abstände nicht eingehalten worden.
… auch in Charlottenburg: Dort löste die Polizei eine Party in einer Drei-Zimmer Wohnung auf. Es wurden in der etwa 70 Quadratmeter großen Wohnung 15 Frauen und 21 Männer im Alter von 19 bis 55 Jahren angetroffen.
… auch in Stuttgart: Dort kam es zu einem größeren Polizeieinsatz, weil mehrere hundert Menschen in der Innenstadt unterwegs waren und gegen die Corona-Regeln verstoßen haben sollen. Später flogen auch Flaschen.
… noch einmal in Neukölln: In einem Café in der Wildenbruchstraße löste die Polizei eine illegale Feier mit zwölf Beteiligten auf. Vor Ort trafen die Ordnungshüter vier Frauen und acht Männer im Alter von 31 bis 60 Jahren an, die Alkohol tranken. Keiner der Gäste trug einen Mund-Nasen-Schutz, Abstände wurden nicht eingehalten.
… auch in Kreuzberg: Einsatzkräfte der Polizei beendeten gestern Abend das gesellige Beisammensein zum illegalen Glückspiel in Kreuzberg. An mehreren Tischen und Automaten spielten insgesamt 20 Personen Poker und andere Glücksspiele. Niemand von ihnen hielt sich an Abstands- und sonstige Hygieneregeln.
… auch in Frankfurt: Mehrere hundert Menschen hatten zusammen im Frankfurter Hafenpark gefeiert - viele ohne Maske und Abstand.
… und natürlich auch in Mitte und Prenzelberg selber: Insgesamt neun Strafermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Gebrauchs unrichtiger Gesundheitszeugnisse und 45 Ordnungswidrigkeitenverfahren wegen des Nichttragens von Mund-Nasen-Bedeckungen leiteten Einsatzkräfte der Polizei Berlin letzte Woche anläßlich einer Demonstration von Mitte nach Prenzlauer Berg ein.
Gesundheitsämter tun sich schwer mit neuer Corona-Software: Ursprünglich sollten alle deutschen Gesundheitsämter bis Ende Februar die Corona-Software »Sormas« nutzen. Doch davon sind die Behörden in Berlin weit entfernt. Unter anderem gibt es Verbindungsprobleme mit den bislang eingesetzten Programmen.
Mit einem genial einfachen Trick entging eine 8-Jährige tagelang dem Online-Unterricht. Und keiner der »IT-Spezialisten« hat es gemerkt.
Der Digitalverband Bitkom hat die Terminvergabe für Corona-Schutzimpfungen scharf kritisiert. Das Chaos sei einer Hightech-Nation unwürdig.
Mitten in der Coronakrise fehlen Spahn-Behörden über 100 IT-Experten. Jetzt soll eine künstliche Intelligenz das richten, denn das sind Sach- und keine Personalkosten.
Schulen in ganz Deutschland nutzen die Lern-App »Anton«. Nach BR-Recherchen gab es dort eine gravierende Sicherheitslücke: Außenstehende hätten Daten auslesen oder sich als Lehrkräfte ausgeben können. Die Schwachstelle sei jetzt behoben.
Auch bei den Corona-Selbsttests von Aldi ist – wenn man sie mal bekommt – die Technik dahinter schlecht umgesetzt. Es gibt Datenschutz- und Sicherheitsprobleme.
Lockerungen vom Lockdown: Wer blickt da noch durch?
»Mittelgradig unglaublich« findet der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach, daß die Brandenburger Landesregierung die Corona-Notbremse viel später ziehen will (erst ab einer Inszidenz von 200) als von Bund und Ländern vereinbart. Brandenburg verteidigt seine Linie - ohne sie wirklich zu erklären.
Eine Öffnung in fünf Schritten haben Bund und Länder beschlossen. Doch steigende Inzidenz-Zahlen könnten diese Pläne schon bald durchkreuzen. Ein Statistik-Experte hat für rbb|24 verschiedene Szenarien durchgerechnet.
Stand heute: Die Inzidenz steigt den fünften Tag in Folge - inzwischen liegt sie bei 82,9. Intensivmediziner warnen vor den Folgen für das Gesundheitssystem und fordern Konsequenzen: Um eine dritte Welle zu verhindern, müsse man sofort zurück in den Lockdown.
Theaterbesuche, Reisen ohne Quarantäne, Übernachtungen im Hotel: In Israel soll das künftig für Genesene und Geimpfte wieder möglich sein. Mit einem »Grünen Pass« werden ihnen Erleichterungen gewährt.
Natürlich prescht auch Österreich vor: Kanzler Kurz will digitalen Corona-Pass für ganz Europa. Er will den Ski-Urlaub retten.
Selbst in Berlin wagt man sich zaghaft vor: Für einige Kulturstätten soll es bald eine Öffnungsperspektive geben. Berlins Kultursenator will in einem Pilotprojekt Ticketverkäufe ermöglichen. Notwendig wäre dafür aber ein negativer Corona-Test. Der Nachweis einer Impfung kann er bei dem Impfdebakel natürlich nicht vorschlagen.
War sonst noch was? Ach ja, wenn man keine Erfolge vorweisen kann, kann man die Berichterstattung über die Mißerfolge zumindest zensieren: Das Bezirksamt Berlin-Mitte hat der tagesschau untersagt, eine Pressekonferenz der Behörde und des Robert Koch-Instituts live ins Internet zu übertragen. Und besonders kreativ gegen Corona ist man in Tansania: Dort will der Präasident John Magufuli Corona durchs Gebet besiegen. Das ist fast genau so gut und sinnvoll wie der selbstgebastelte »Impfstoff« aus Lübeck.
Über …
Der Schockwellenreiter ist seit dem 24. April 2000 das Weblog digitale Kritzelheft von Jörg Kantel (Neuköllner, EDV-Leiter Rentner, Autor, Netzaktivist und Hundesportler — Reihenfolge rein zufällig). Hier steht, was mir gefällt. Wem es nicht gefällt, der braucht ja nicht mitzulesen. Wer aber mitliest, ist herzlich willkommen und eingeladen, mitzudiskutieren!
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